Substance-Die Formel
dann wird H-News, der einzige 24-Stunden-Nachrichtenkanal Houstons, Ihnen wieder die Möglichkeit geben, live dabei zu sein.
Die Polizei vermutet, bei der Erschießung des Anwalts, dessen Leiche gestern Morgen …«
Nigel stellte den Ton ab. Das Programm verstummte.
»Das war der Professor, der mich vor acht Monaten gefeuert hat.«
»Was du nicht sagst. Unglaublich!«
Kevin sah aus dem Fenster. Nach seiner Kündigung wegen des Laborunfalls hatte er Professor Ward alles Mögliche an den Hals gewünscht, aber natürlich nicht den Tod. Trotzdem, er spürte keine Traurigkeit. Er wusste eigentlich nicht, wie er sich fühlte.
»Kevin«, unterbrach Nigel seine Gedanken, »ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja. Es geht mir gut. Ist nur eine komische Geschichte.«
»Hast du ihn gut gekannt?«
»Ja und nein. Aber deshalb ist es ja gerade so seltsam. Ward war ein Arsch, aber er war ein vorsichtiger Typ, beinahe schon pingelig. Vermutlich bin ich einfach nur platt, dass ausgerechnet ihm so etwas zustoßen musste.«
»Ich habe das schon hundert Mal gehört, es scheint Rauchern ständig zu passieren.«
»Ich auch. Mich erstaunt eben nur, dass ausgerechnet er so unvorsichtig war.«
Sie schwiegen eine Weile, bis Kevin schließlich begann, seine Kleider zusammenzusuchen. Er musste zurück in seine Wohnung. Hemd und Schuhe lagen unter einem Pizzakarton. Seinen Kater war er noch nicht los, aber er beschränkte sich inzwischen auf ein dumpfes Pochen in seinem Gehirn.
»Ruf mich an, wenn du etwas brauchst«, sagte Nigel.
»Ist alles okay, wirklich. Mach dir keine Gedanken.«
Draußen stand die Hitze schon flirrend über dem Pflaster der Auffahrt.
Er musste den Mustang mehrmals anlassen, bevor sich der Motor endlich rührte. Automatisch schaltete er das Radio an, machte es dann aber doch gleich wieder aus. Er brauchte Ruhe an diesem Morgen. Beim Lösen der Bremse warf er einen kurzen Blick auf den Kilometerstand, um zu berechnen, ob er noch genug Benzin hatte. Bis zu seiner Wohnung würde es reichen, und dann würde er sich eine schöne, kühle Dusche gönnen.
SECHS
Der Platanenpark, wie Kevins Wohnanlage hieß, lag meilenweit vom Campus seiner Uni entfernt, westlich von Houston, ein Stück außerhalb der Ringstraße. Man lebte dort relativ sicher, das Terrain war eingezäunt und nur durch ein Tor zugänglich, und die Miete für eine Zwei-Zimmer-Wohnung war erschwinglich. Ihr einziger Nachteil war die Entfernung zur Uni. Während des Berufsverkehrs konnte die Fahrt über dreißig Minuten dauern.
Wie bei den meisten Wohnanlagen waren auch hier die dreistöckigen, unscheinbaren Bauten von ausgedehnten Parkplätzen umgeben. Hinter den Gebäuden lagen Schwimmbecken, die fast das ganze Jahr über benutzt wurden. Hecken und Grasstreifen trennten Gehwege und Gebäude. Die Siedlung unterschied sich von anderen dadurch, dass die Anlage ihrem Namen »Platanenpark« zum Trotz mit einer Menge alter Eichen bestanden war, die unter anderem die Autos vor der gnadenlosen Hitze schützten. In der hinteren Ecke des Parkplatzes saßen unter einer dieser Eichen David Lobec und Richard Bern in einem Chevrolet.
Bern döste, während Lobec das kurze Dossier las, das sie in den vergangenen Stunden über Kevin Hamilton zusammengestellt hatten. Die Informationen stammten aus dem Internet, Hamiltons Schulakten, den Akten des texanischen Bürgerschutzministeriums und aus dem, was die Durchsuchung seiner Wohnung geliefert hatte. Alle dreißig Sekunden blickte Lobec automatisch hoch, um einen Blick auf Kevins Wohnung im ersten Stock zu werfen, deren Eingangstür vom Parkplatz aus sichtbar war.
Ein Lastwagen mit der Aufschrift »Gartenarbeiten zu allen Jahreszeiten« kam zwanzig Meter vor dem Chevrolet zum stehen. Ein Mann mit nacktem Oberkörper, dessen gewaltige Wampe sich über schmierigen Shorts wölbte, machte sich daran, einen fahrbaren Rasenmäher von dem Anhänger herunterzufahren. Lobec, der in den fünf Jahren, die er in Houston wohnte, noch keinen Schnee erlebt hatte, hätte den Mann am liebsten gefragt, wann mit den drei anderen Jahreszeiten zu rechnen wäre.
Der Mäher stieß eine Rauchfahne aus, und sein Motor heulte so laut auf, dass von dem Straßenlärm in der Ferne nichts mehr zu hören war. Bern wachte auf. Er suchte durch die getönten Scheiben des Autos nach der Lärmquelle und sah den Fetten auf das Gras fahren.
»Verdammt. Wo ich doch gerade so toll geträumt habe.« Lobec wusste schon, was nun kommen würde. Bern hatte ihm oft
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