Succubus on Top
Tammi in ihrer gesegneten jugendlichen Naivität hatte keine Ahnung, wie nahe dran sie gewesen war. Wie sie glaubte ich ebenfalls daran, dass Seth ganz schön sauer sein konnte, wenn er ausreichend Grund dazu hatte.
Wie zum Beispiel, wenn seine Freundin ihn betrogen hatte.
Bastien hatte schon Recht gehabt, dass Seth und ich das Wort ‹betrügen› ziemlich locker nahmen, aber selbst ich wusste, was es zu bedeuten hatte und was nicht. Da gab es keine Grauzone. Kein Zurechtbiegen. Ich hatte mich absolut und völlig in die Scheiße hineingeritten.
Was ich auch gewusst hatte, als ich in jener unheiligen Union mit Bastien im Bett gelegen hatte. Nach meiner schlaflosen Nacht hatte ich ihn am frühen Morgen verlassen und mir mit immer noch schmerzendem Leib ein Taxi nach Queen Anne genommen. Ich hatte nicht mit ihm reden wollen. Er hatte so tief geschlafen, dass er von meinem Abgang nichts mitbekommen hatte. Kein Schuldgefühl drückte ihn nieder.
Hingegen ich? Das Fass meiner Schuldgefühle lief über. Und nicht nur das, ich musste auch noch die nächste Entscheidung in diesem ganzen Schlamassel treffen – beichten oder nicht beichten? Das war es, was mich den ganzen Tag über bei der Arbeit beschäftigt hatte. Die Vergangenheit war vorüber; ihr konnte ich nur eine begrenzte Zeitlang nachweinen. Meine Aufmerksamkeit konzentrierte sich jetzt auf die Zukunft und wie ich damit umginge.
Zum Glück hatte Seth heute zu Hause gearbeitet, was ein wenig half. Er und ich hatten geplant, uns am Abend zu treffen, aber bis dahin bliebe noch Zeit, mir etwas auszudenken. Irgendetwas. Und dennoch – als ich nach Dienstschluss heimging, war ich einer Antwort nicht näher als zu Beginn des Tages.
Mir war erbärmlich zumute, als ich einen Stuhl an meinen Küchentisch zog und mich mit Stift und Papier davorsetzte. Aubrey sprang herauf, um mir zuzusehen, und legte sich halb aufs Papier. Ich schob sie weg und machte die folgende Liste:
SETH NICHTS SAGEN
Pro: Status Quo bleibt, er wird nicht ausrasten
Kontra: Mein eigenes nagendes Schuldgefühl; die Sache mit der Ehrlichkeit völlig in den Sand gesetzt
Ich überdachte die Liste einen Augenblick lang, überrascht davon, dass weder Pro noch Kontra mehr Punkte für sich aufzuweisen hatten. Es war so einfach. Etwas weiter unten auf die Seite setzte ich das Gegenstück:
SETH ALLES SAGEN
Pro: Das Richtige zu tun
Kontra: Zugeben, das ich ein Idiot bin, schmerzhafter Gefühls- ausbruch, unausweichliche Trennung, buchstäblich eine
Ewigkeit herzzerreißende Trauer und Reue
Mit dem Stift in der Hand sah ich zwischen den beiden Listen hin und her.
«Das klärt die Dinge mitnichten, Aubrey.» Im Bemühen, meiner Enttäuschung irgendwie Luft zu machen, schleuderte ich den Stift irgendwo ins Wohnzimmer. Sie sah ihm interessiert nach und jagte dann los, um sich vom Zerstörungswerk zu überzeugen.
«Was musst du Seth sagen?»
«Meine Güte!», kreischte ich und schoss praktisch drei Meter in die Luft. Aus dem Nirgendwo war Carter aufgetaucht. Er stand jetzt neben dem Tisch und wirkte gleichmütig und lakonisch wie immer. Er trug ein schwarzes T-Shirt über einem grauen Unterhemd sowie dieselben Jeans, die er, das schwöre ich, während der letzten paar Jahrzehnte getragen hatte. «Tu das nicht noch mal, ja? Anklopfen ist keine vergessene Kunst.»
«Tut mir leid.» Er zog einen Stuhl hervor, drehte ihn um und setzte sich breitbeinig darauf, sodass seine langen Arme locker über der Rückenlehne hingen. Dann schleuderte er das strähnige blonde Haar aus dem Gesicht und deutete auf meine Liste. «Wollte nicht stören.»
«Hast du auch nicht», brummelte ich, zerknüllte das Papier und warf es ebenfalls ins Wohnzimmer, damit Aubrey noch etwas zum Nachjagen hätte.
«Möchtest du über was reden?», fragte er.
Ich zögerte. Von allen mir bekannten Leuten hatte nur Carter einen unerschütterlichen Glauben an eine ernsthafte Beziehung zwischen Seth und mir gezeigt. Er war der Einzige, der sich nicht über sie lustig gemacht hatte. In gewisser Hinsicht wäre er jemand gewesen, dem ich mein Herz hätte ausschütten können, aber es disqualifizierte ihn zugleich. Ich konnte der einzigen Person, die an mich geglaubt hatte, nicht beichten, wie sehr ich die Dinge in einem Augenblick der Schwäche zerrüttet hatte.
«Nein», sagte ich brüsk. «Aber vermutlich hast du etwas zu erzählen.»
Er betrachtete mich einen Moment lang, als ob er mich dazu drängen wollte, auszusprechen, was ich eindeutig
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