Succubus on Top
hatte.
Wie Casey wirkte auch er völlig unberührt von der Party gestern Nacht. Er arbeitete und schwirrte mit einer Energie umher, die allmählich für ihn charakteristisch wurde. Verglichen mit den beiden kam ich mir wie ein echter Miesepeter vor, ganz zu schweigen von völlig fehl am Platz. Pff! Was waren Unsterblichkeit und Gestaltwandel im Vergleich zu übermenschlichen Rechenfähigkeiten und verblüffenden Bühnenauftritten?
Bei meiner Rückkehr aus der Mittagspause kam er mir praktisch entgegen gesprintet. «Kincaid, Kincaid – du musst mir aushelfen!»
«Was ist los?»
Er ruckte mit dem Kinn zu einer der Kassen hinüber. Alec lehnte dagegen und flirtete mit Casey. Sie lächelte und nickte begeistert über etwas, das er gerade gesagt hatte.
«Alec ist vorbeigekommen, um mir zu sagen, dass er uns ein größeres Vorspiel drüben in der Blue Gallery besorgt hat. Wir müssen proben. Sofort.»
«Du meine Güte! Mach mal halblang mit der Kursivschrift!»
«Kincaid, das ist ernst! Du musst für mich übernehmen. Niemand wird bemerken, dass ich gegangen bin. Denen hier ist das egal, und Paige und Warren werden nicht auftauchen.»
«Wie lange brauchst du?»
«Den restlichen Tag.»
«Den restlichen… das bedeutet über zwölf Stunden für mich! Abgesehen davon kann ich nicht schließen. Ich sehe mir ein Stück in der Stadt an.» Seth hatte uns gerade in letzter Minute noch Karten besorgt.
«Dann… bleib so lang du kannst. Janice wird sich ums Schließen kümmern.»
Ich zögerte. Warren war es lieber, dass der Geschäftsführer oder einer seiner Stellvertreter schloss, aber Doug hatte Recht. Janice kam damit zurecht.
«Kin- caid», bettelte er. «Bitte. Ich brauche das. Das weißt du genau.»
Doug war stets charmant und unwiderstehlich gewesen. Heute sprach mich etwas an ihm besonders an. Ein Meister, der einem anderen Meister zusetzte. Als ich seiner Bettelei nachgab, hob er mich hoch und wirbelte mich äußerst würdelos herum. Zwei Minuten später verschwand er mit Alec, und ich bereitete mich auf einen langen Tag vor.
Endlich neigte er sich seinem Ende zu, und ich war mir sicher, dass der Laden in meiner Abwesenheit bis auf die Grundmauern niederbrennen würde. Ich riss mich dennoch los, fuhr in die Stadt, fand einen Parkplatz, raste ins Theater und betrat den Zuschauerraum, als gerade die Lichter erloschen.
Atemlos schlüpfte ich in einen Sitz zwischen Seth und seiner dreizehnjährigen Nichte Brandy. Auf der anderen Seite winkten Seths Bruder und Schwägerin mir zu.
Brandy grinste. Bei unserer ersten Begegnung war sie sehr schüchtern gewesen, schien mich jetzt jedoch als die ältere Schwester zu betrachten, die sie nicht hatte. Ich meinerseits bewunderte sie auch. Wenn Seth und ich uns jemals trennten, so war ich mir nicht sicher, ob ich damit zurechtkäme, mich von seiner Familie fernhalten zu müssen.
«Ich hätte nicht gedacht, dass du es schaffen würdest», sagte sie zu mir. Ihr Gesicht war in der schwachen Beleuchtung kaum zu erkennen. In längst vergangenen Tagen hätten die Leute ihr Haar und das ihrer Mutter als ‹flachsblond› bezeichnet, aber diesen Ausdruck benutzte eigentlich niemand mehr. Trotzdem fand ich ihn immer noch passend, wenn ich diese blasse Goldschattierung sah.
«Habe bloß ein erstklassiges Fast-Zuspätkommen inszeniert», flüsterte ich zurück. «Merk dir das, wenn du älter wirst. Hält die Männer auf Trab. Sobald sie mal was als gegeben hinnehmen, wird das Zusammenleben mit ihnen unerträglich.»
Brandy kicherte. Seth lächelte bloß, aber aus seinen Augen strahlte Anerkennung, während er mich musterte. Ich trug weinfarbene Seide und hatte das Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Seine Augen, das hatte ich schon längst entdeckt, konnten ebenso beredsam und ausdrucksstark sein wie seine Feder. Die Botschaften, die sie mir jetzt zusandten, schienen für die Öffentlichkeit kaum angemessen. Er legte seine Hand auf die meine, sodass beide auf meinem Schenkel ruhten, und als der Abend voranschritt, ertappte ich mich dabei, mehr über diese Hände nachzudenken und wo sie lagen als über das ausgezeichnete Stück.
Hinterher verbrachte ich eine Weile mit ihm und seiner Familie im Foyer und ließ mich auf den neuesten Stand der Dinge bringen. Terry und Andrea Mortensen waren prächtige Menschen, die mich stets mit echter Freundlichkeit behandelten. Nach meinen Erfahrungen mit Seths gesellschaftsfeindlichen Angewohnheiten glaube ich, dass sie mich als letzten Strohhalm
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