Succubus05 Shadows - Die dunkle Seite der Versuchung
in der Welt der Sterblichen. Das hier ist die Traumwelt.»
«Du bist einer von vielen Träumen», sagte Zwei. «Ein Traum zwischen all den Träumen der ganzen Menschheit. Dein Wesen ist hier. Deine Seele, verloren in einem Meer aus zahllosen anderen Seelen.»
Vor lauter Angst verzichtete ich diesmal auf einen Kommentar über seine blumige Ausdrucksweise. Die Metaphysik des Universums, seiner Ebenen und der Schöpfung selbst ging weit über meinen Verstand. Selbst wenn es mir jemand erklärt hätte, so lag es doch weit jenseits dessen, was ein Sterblicher fassen konnte, ebenso ein geringerer Unsterblicher oder jedes andere Geschöpf, das geschaffen und nicht geboren worden war. Ich begriff allerdings genug, um zu erkennen, dass einiges an Wahrheit in ihren Worten lag. Es gab eine Welt der Träume, eine formlose Welt, die jedoch beinahe genauso machtvoll war wie die physische Welt, in der ich lebte. War es denn möglich, dass sie mein Wesen in ihr gefangen hielten und mich vor Jerome verbargen? Das konnte ich nicht einfach abtun, denn ich war mir in diesem Punkt wirklich unsicher.
«Was jetzt?», fragte ich und versuchte, überheblich zu klingen, doch es hörte sich eher so beklommen an, wie ich mich fühlte. «Ihr lasst mich also einfach wie einen blöden Pantomimen in dieser unsichtbaren Kiste hocken und reibt euch die Hände?»
«Nein», sagte Eins. «Du befindest dich in der Welt der Träume. Du wirst träumen.»
Die Welt um mich herum löste sich wieder auf.
Heute war der Tag meiner Hochzeit.
Ich war fünfzehn Jahre alt. Im zwanzigsten Jahrhundert wäre ich noch minderjährig gewesen, aber im Zypern des vierten Jahrhunderts war ich längst alt genug, um eine Ehefrau zu werden. Und groß genug gewachsen war ich auch schon. Die Oneroi hatten mich in eine Erinnerung oder den Traum von einer Erinnerung oder etwas in der Art geschickt. Es war den Träumen, in die Nyx mich geschickt hatte, sehr ähnlich. Ich betrachtete mich selbst wie in einem Film … doch gleichzeitig war ich auch mittendrin und erlebte alles ziemlich realistisch mit.
Es war ein verwirrendes Gefühl, das noch dadurch verschlimmert wurde, dass ich mein menschliches Ich eigentlich nie wieder hatte sehen wollen. Meine Seele zu verkaufen hatte ganz offensichtlich einige Nachteile für mich gebracht, aber es gab auch einige Vorteile: nämlich die Fähigkeit zur Gestaltwandlung und damit verbunden die Möglichkeit, dass ich nie wieder in dem Körper erscheinen musste, in dem ich in meiner sterblichen Existenz so viele schwerwiegende Sünden begangen hatte.
Doch da war er und ich konnte nicht wegsehen. Es war wie in Clockwork Orange . Mein jüngeres Ich war nach heutigen Maßstäben etwa einssiebzig groß, doch in einem Zeitalter, als die Menschen in der Regel noch viel kleiner gewachsen waren, war ich ein Riese von einer Frau. Beim Tanzen konnte ich diesen langen Körper und all diese Glieder gut gebrauchen, dann bewegte ich mich anmutig und mühelos. Im täglichen Leben aber war ich mir immer meiner Größe schmerzhaft bewusst und kam mir plump und unnatürlich vor.
Als ich mein altes Selbst jetzt beim Gehen beobachtete, fand ich es verblüffend, dass ich doch nicht so unbeholfen wirkte, wie ich immer geglaubt hatte. Das half jedoch nicht gegen den Abscheu, den ich beim Anblick des dicken, hüftlangen schwarzen Haares oder des einigermaßen hübschen Gesichts empfand. Es war wirklich überraschend, wie sich die Realität (wenn das hier die Realität war) und Erinnerungen mischten.
Es dämmerte gerade und ich trug eine große Amphore mit Öl hinaus zu einem Lagerhaus jenseits des Wohnsitzes meiner Familie. Mein Schritt war leichtfüßig und ich war darauf bedacht, nichts zu verschütten. Wieder staunte ich über die Art, wie ich mich bewegte. Im Schuppen stellte ich das Gefäß neben einigen anderen ab und machte mich dann wieder auf den Rückweg zum Haus. Ich war kaum zwei Schritte weit gegangen, als Kyriakos, mein zukünftiger Ehemann, auftauchte. Er blickte verstohlen drein und ich wusste sofort, dass er sich hierhergeschlichen hatte, um mich zu sehen, und dass er ganz genau wusste, dass er das nicht hätte tun sollen. Das war ungewöhnlich wagemutig für seine Verhältnisse und ich tadelte ihn wegen dieser Indiskretion.
«Was tust du? Wir sehen uns doch heute Nachmittag … und danach jeden Tag!»
«Ich musste dir das hier noch vor der Hochzeit geben.» Er hielt eine Kette aus hölzernen, kleinen Perlen hoch, jede Einzelne von ihnen
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