Succubus05 Shadows - Die dunkle Seite der Versuchung
zurückgeschickt», erwiderte Jerome, «nicht auf eine einsame Insel oder so.»
Romans Zorn hatte sich etwas abgekühlt und sein Gesicht war nun ruhig und nachdenklich und ähnelte dem seines Vaters auf bemerkenswerte Weise. «Was hat sie damit gemeint, dass du wissen solltest, weshalb sie hier ist? Warum sollte ich sie verfolgen?»
«Ich kann es nicht melden», sagte Jerome. Er unterhielt sich mit Carter, als wäre Roman überhaupt nicht da. «Noch nicht ... nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bosse davon erfahren.»
«Und ich kann da gar nichts unternehmen», überlegte Carter. «Technisch gesehen ist das dein Problem.» Er nahm einen gehörigen Schluck – als ob davon wieder alles in Ordnung kommen würde.
«Aber du wirst etwas unternehmen», sagte Roman forsch. «Du wirst doch versuchen, sie zu finden?»
«Freilich», erwiderte Carter. Das typische zynische Lächeln erschien auf seinen Lippen und löste seine eben noch grimmige Miene. Mir kam der Verdacht, dass er damit seine wahren Gefühle überspielte. «Ohne sie wäre es hier einfach viel zu langweilig.»
In diesem Moment gefiel mir meine Position als unsichtbarer Beobachter recht gut. Carter hatte keine Ahnung, dass ich da war, und zum allerersten Mal bekam ich die Gelegenheit, ihn eingehend zu beobachten, ohne von ihm gesehen zu werden. Augenblicklich schützte er zwar diese entnervende Leichtfertigkeit vor, doch er hatte sich auch Sorgen um mein Wohlergehen gemacht, und ich konnte beim besten Willen nicht glauben, dass er das nur tat, weil er mich so unterhaltsam fand. Was spielte er bloß für ein Spiel? Doch seine grauen Augen gaben nichts preis.
«Ja», sagte Jerome. «Was wären wir ohne ihre putzigen Missgeschicke.»
Carter holte Luft, um zu protestieren, doch Roman unterbrach ihn erneut. «Oh. Das war auch etwas, worüber wir mit Erik gesprochen haben.» Er setzte die beiden kurz über Eriks Erkenntnisse ins Bild und erzählte ihnen, wie ich immer nur dann heimgesucht wurde, wenn ich deprimiert war. Zudem beschrieb Roman jeden der Vorfälle so detailliert, wie es ihm möglich war.
Jerome und Carter tauschten Blicke miteinander. «Da sie ja die meiste Zeit schlecht drauf ist, hilft uns das nicht wirklich weiter», bemerkte der Dämon. «Aber ein Besuch bei dem alten Mann dürfte sich trotzdem lohnen.»
«Jerome», sagte Carter in warnendem Tonfall.
Wieder trafen sich die Blicke der beiden und irgendwie kommunizierten sie ohne Worte. Schließlich sah Jerome weg und griff lässig nach seinem aktuellen Drink. «Keine Sorge. Ich werde ihn nicht erschrecken. Zumindest nicht allzu sehr.»
Ich fragte mich, ob er sofort zu Erik gehen würde, doch ich bekam keine Gelegenheit, es herauszufinden. Die Welt löste sich wieder einmal auf und ich saß erneut in meinem Gefängnis. Es war nach wie vor fürchterlich unbequem und zudem fühlte ich mich jetzt auch noch völlig erschöpft. Als ich die grinsenden, glühenden Oneroi sah, konnte ich mir schon denken, was passiert war. Während sie sich von meinem Traum genährt hatten, hatten sie mir zusätzlich auch noch etwas von meiner Energie gestohlen.
«Traum ...», murmelte ich und war plötzlich durcheinander. Ich hatte mich schon auf ein schlimmes Ende gefasst gemacht, doch es war ausgeblieben. «Das war kein Traum. Das war die Realität. Ihr habt mir etwas gezeigt, das wirklich passiert ist. Was meine Freunde gerade tun.»
«Manche Träume sind wahr, manche Träume sind Lügen», sagte Zwei. Ich wollte ihm richtig gern eine reinhauen. «Dieser war die Wahrheit.»
Ich musste plötzlich an eine Geschichte denken. Es war eine undeutliche Erinnerung aus meiner Kindheit. Zur Zeit meiner Geburt hatten in Zypern christliche Priester längst Fuß gefasst, doch einige der alten Sagen und Riten hatten sich erhalten. Was wir heute als Mythen betrachten, wurde damals als Fakt angesehen. Eine dieser Geschichten besagte, dass Träume durch eines von zwei Toren zu den Menschen geschickt wurden: entweder durch ein Tor aus Elfenbein oder durch ein Tor aus Horn. Die Träume des Elfenbeintors waren Lügen, die Träume vom Horntor waren wahr. Ich war nicht sicher, ob es doch nur Metaphern waren, aber letzten Endes schien etwas dran zu sein.
«Aber wieso?», fragte ich. «Warum zeigt ihr mir wahre Träume? Mit einem weiteren, blöden Albtraum würdet ihr mich viel mehr quälen.» Der Albtraum war eigentlich nicht blöde gewesen, eher eine Folter, aber das brauchten die
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