Succubus05 Shadows - Die dunkle Seite der Versuchung
wieder zum tausendsten Mal beschwert hatte. «Sieh es als Urlaub. Legionen von Seelen werden hier jeden Tag zur Verdammnis verurteilt.»
Ich ging zu unserem Ladenfenster hinüber, presste meine Hände gegen das Glas und spähte auf die belebte Straße hinaus. Radfahrer und Fußgänger kamen vorbei, jeder musste irgendwohin und das möglichst schnell. Das dort draußen hätte ein ganz normaler Werktag in Paris sein können, doch dies war kein gewöhnlicher Tag. Nichts war normal, seit die Deutschen Frankreich besetzt hatten, und die Soldaten, die hier und da auf den Straßen verstreut standen, stachen mir ins Auge wie Kerzen in der Dunkelheit.
Schlechter Vergleich , dachte ich. Kerzen implizierten ja so etwas wie Hoffnung und Licht. Und während Paris unter der Naziherrschaft weitaus besser fuhr als den meisten Menschen klar war, so hatte sich doch etwas in der Stadt verändert. Die Energie, der Esprit ... wie immer man es nennen wollte, war für mich befleckt. Bastien fand das verrückt. Die meisten Menschen führten ihr alltägliches Leben weiter. Die Nahrungsmittelknappheit war hier nicht ganz so schlimm wie andernorts. Und nachdem wir unser Äußeres verwandelt hatten und jetzt aussahen wie die blonden, blauäugigen Kinder auf den Postern der Aryan Nation, ließ man uns meistens in Ruhe.
Bastien redete weiter von meiner schlechten Laune, während er die Auslagen mit Hüten um mich herum ordnete. Er hatte für seine Identität den Beruf des Hutmachers gewählt, was gut war, um wohlsituierte Pariserinnen kennen zu lernen. Ich hatte die Rolle seiner Schwester übernommen – wie ich es auch schon so oft in anderen Szenarios getan hatte – und half ihm im Laden und führte den Haushalt für ihn. Das war besser als die Tanzsalons oder die Bordelle, wo wir zuvor gearbeitet hatten.
«Was ist mit deinem Freund?», fragte Bastien hinterlistig. «Dem jungen Monsieur Luc?»
Bei Lucs Erwähnung ließ ich von der Betrachtung der Welt außerhalb des Hutladens ab. Wo ich gerade von Kerzen in der Dunkelheit sprach: Luc war meine Kerze. Eine wirkliche Kerze. Er war ein Mensch, den ich erst kürzlich kennen gelernt hatte. Er arbeitete bei seinem Vater – einem Geigenbauer. Ihr Geschäft litt noch stärker als das unsere, denn in diesen entbehrungsreichen Zeiten schrumpfte der Markt für Luxusartikel in sich zusammen.
Doch Luc schien sich nie von den finanziellen Nöten beeindrucken zu lassen. Wann immer ich ihn sah, war er fröhlich und immer voller Hoffnung. Das erdrückende Gewicht der Jahrhunderte, die von Sünden und Finsternis erfüllt gewesen waren, forderten bei mir langsam ihren Tribut, und in Paris zu sein machte alles nur noch schlimmer. Doch Luc war in meinen Augen ein Wunder. Dass er die Welt mit solchem Optimismus betrachtete und mit der Überzeugung, dass das Gute immer siegen würde ... das war schon eine merkwürdige Sichtweise. Eine, die mich faszinierte. Ich konnte mich dem nicht entziehen.
«Luc ist anders», gab ich zu und wandte mich endgültig vom Fenster ab. «Er gehört nicht zu all dem.»
Bastien schnaubte und lehnte sich an die Wand. «Sie gehören alle dazu, Fleur.» Fleur war sein Spitzname für mich. Er behielt ihn über all die Jahre bei, egal, welche Identität ich annahm. «Ich vermute mal, du hast noch nicht mit ihm geschlafen?»
Ich antwortete ihm, indem ich mich abwandte und schwieg. Nein, ich hatte nicht mit Luc geschlafen. Allerdings wollte ich das gerne. Ich wollte es aus den Instinkten einer Frau heraus, die sich in einen Mann verliebt hatte, und aus dem Verlangen des Sukkubus heraus, Energie aufzunehmen und die Seele eines guten Menschen zu kosten. Niemals zuvor hatte ich gezögert. Ich war immer scharf darauf gewesen. Es war ja auch mein Job. Doch etwas in mir veränderte sich. Vielleicht lag es an diesen trostlosen Zeiten, doch wann immer ich Luc ansah und diese Reinheit wahrnahm, die er ausstrahlte – und seine wachsende Liebe und Vertrauen zu mir – dann konnte ich es einfach nicht.
«Er kommt heute Abend vorbei», sagte ich am Ende und wich der Frage damit aus. «Wir machen einen Spaziergang.»
«Oh», erwiderte Bastien, «ein Spaziergang. Das wird Theodosia sicherlich beeindrucken.» Theodosia war unsere Erzdämonin.
Ich drehte mich brüsk um und warf Bastien einen bösen Blick zu. «Was ich tue, geht dich gar nichts an!», schrie ich. «Und überhaupt, wenn das hier wirklich eine Art ‹Urlaub› ist, wie du behauptest, dann sollte ich eigentlich auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher