Suche nicht die Suende
Gwen spürte, dass Alex’ Griff fester wurde. Sie hob den Kopf und sah einen der Wachmänner auf sie zukommen. Unter dem Schatten, der von der Krempe seines Bowlerhutes geworfen wurde, zeugte sein anzügliches Grinsen von seiner Fehleinschätzung dessen, was er sah.
»Lass mich herunter«, wisperte sie, nachdem der Mann an ihnen vorbeigegangen war. Er hatte die Richtung zu Barringtons Privaträumen eingeschlagen.
»Lehn dich zurück«, sagte Alex, und sein Ton klang dabei so ungewohnt hart, dass sie zurückschreckte. Seine großen Hände hielten sie herrisch gegen seine Brust gedrückt.
»Aber wenn er Barrington findet –«
»Wir gehen direkt zu den Ställen«, sagte Alex leise. »Und werden dem Kutscher sagen, er soll uns nach Monte Carlo bringen.«
Er trug Gwen durch die Halle, als wöge sie gar nichts. Der Butler öffnete ihm wortlos die Tür, offensichtlich war er an derart seltsame Vorkommnisse gewöhnt. Dann die wenigen Stufen der Freitreppe hinunter. Kies knirschte unter Alex’ Schritten, als er dem Pfad um das Haus folgte. Der Mond schien von einem sternenübersäten Himmel, der so schwarz war, dass er tiefenlos zu sein schien.
Gwen schloss die Augen. Von fern hörte man das dumpfe Krachen der Wellen gegen die Klippen und irgendwo in der Nähe Stimmen. Die Sonne hatte ihre Wärme mit sich genommen; die Luft war kühl und enthielt einen Biss, der Gwen vom Herbst her vertraut war. Sie nahm den Duft der Pfefferbäume wahr … und dann auch den von Alex: die Wäschestärke, mit der sein Hemd gewaschen worden war, den Geruch nach Schweiß. Er fühlte sich so wunderbar vertraut an. Sie hatte das Gefühl, als hätte er große innere Kämpfe mit sich ausgefochten, doch es war klar, dass Fragen seine Zunge nicht lösen würden. Alles, was er jetzt von ihr wollte, war, dass sie still in seinen Armen lag.
Doch dieser letzte Gedanke weigerte sich zu vergehen. Er verweilte in ihrem Bewusstsein. Und Alex hielt sie so fest, dass sie sich kaum bewegen konnte. Dies war es, was er beabsichtigte.
Verwundert zuckte sie zusammen. Seine Arme spannten sich für einen Moment an, als warne er sie.
Gwen hielt den Atem an. Sie fühlte sich, als sei unvermutet eine Hülle zerplatzt und hätte ihre Sinne für ein neues, verändertes und leuchtenderes Bild freigegeben. Seine Umarmung war fest und unnachgiebig, aber auch angenehm – sogar
mehr
als angenehm. Seine Arme waren stark, und er wollte, dass sie sie hielten.
Himmel, sie musste die närrischste Frau der Welt sein. Sie sollte in diesem Moment keine Freude empfinden. Was heute Nacht geschehen war, war schrecklich und gewalttätig gewesen. Wenn der Wachmann Barrington fand, ehe sie es schafften, diesen Ort zu verlassen …
»Alles in Ordnung«, sagte Alex und ließ Gwen herunter. »Die Monte-Carlo-Fuhre ist spät dran, wie es aussieht. Unser Glück.« Er nahm ihre Hand und führte sie um die Ecke.
Eine Handvoll Gäste in Abendkleidung stand vor dem Stall und wartete auf die Abfahrt der Kutsche. Francesca Rizzardi erspähte sie sofort. »Zum Casino?«, rief sie.
»Wohin sonst?« Alex’ Stimme klang jetzt so mutwillig und leicht, als sei er auf nichts anderes als einen Abend voller Spaß bedacht.
»Dann kommen Sie gerade rechtzeitig!« Signora Rizzardi lachte. »Aber wir werden uns hineinquetschen müssen wie die Sardinen!«
»Oh, ich habe nichts dagegen.« Alex warf der Lady ein vielsagendes Lächeln zu. »Es sei denn …« Er wandte sich zu Gwen, den Mund verzerrt, die Augenbrauen hochgezogen.
Sie zwang ihre Lippen zu einem Lächeln. »Liebling«, sagte sie und legte die Hand auf seinen Arm. »Solange ich gegen
dich
gequetscht werde, kann ich mir keine bessere Art zu reisen denken.«
Es hörte sich sehr glaubwürdig an. Vermutlich, weil es keine Lüge war.
Alex hielt den Blick auf das Haus gerichtet, bis die Kutsche auf die Küstenstraße einbog und ihm eine Böschung die Sicht nahm. Er hielt Ausschau nach Anzeichen, dass Alarm ausgelöst worden war – als ob dieser Alarm sichtbar sein würde. Hölle. Was hatte er sich denn vorgestellt? Eine Explosion von Lichtern? Das plötzliche Heulen von Hunden? So umfassend waren Barringtons Wachen nicht ausgestattet. Er reiste zwar gut bewacht, aber mit der offenen Konfrontation hatte er offensichtlich wenig Erfahrung. Nur ein Dummkopf lud einen Mann in sein Haus ein, von dem er wusste, dass er ihn täuschte.
Barrington war aber nicht der einzige Dummkopf.
Alex atmete tief durch. Dieser Drang zur Gewalt war neu für
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