Suche nicht die Suende
noch in außergewöhnlicher Hinsicht.
Fast konnte Alex diesen Musterknaben vor sich sehen: kahl werdend vielleicht, mit einem stattlichen Bauch, ausgeufert während langer Nachmittage, an denen er im Oberhaus auf seinem Hintern gesessen hatte, und während der entspannten Abende, die er in seinem Club verbracht hatte, Portwein trinkend und ein Steak genießend, während er mit seinen Freunden über die Dreistigkeiten neureicher Ausländer herzog. Jemand, der sich gegen gemeinsame Feinde empörte und sich seinen Freunden gegenüber gutmütig zeigte, der ritterlich gegen Frauen und gut zu seinen Hunden war, der ein Faible für schlechte Witze hatte und sich – das vor allem – durch und durch loyal gegenüber jenen verhielt, die den guten Geschmack bewiesen, ihn zu bewundern. Und Gwen
würde
ihn bewundern. Wenn sie es geschafft hatte, Trent zu bewundern, dann schaffte sie es gewiss auch, praktisch jeden zu bewundern.
Also gut, er würde eine Liste mit Kandidaten aufstellen. Und einen Mann engagieren, der diese dann genau unter die Lupe zu nehmen hatte. Das sollte höchstens zwei, drei Wochen in Anspruch nehmen. Er würde diese Liste seinen Schwestern zeigen und sie bitten, sie Gwen zu geben. Und dabei Bemerkungen über das Vermögen und die Heiratsabsichten der Herren zu machen. Und dann verginge wahrscheinlich noch ein weiterer Monat, bis jemand einen Antrag machte? Ja, so ungefähr müsste es ablaufen.
Wenn er die Sache ein wenig vorantrieb, könnten sie Gwen binnen acht Wochen verlobt haben. Wenn dann der nächste Hochzeitstermin anstand, wäre er bereits wieder fort, auf halbem Wege um die Welt. Er würde ein Glückwunschtelegramm schicken. Vielleicht würde er sich aber nicht einmal an das Datum erinnern, und irgendjemand, sein Sekretär möglicherweise, müsste ihn daran erinnern, wenn das Ereignis näher rückte.
Ja
. Das hörte sich nach einem exzellenten Plan an.
Was ich brauche, dachte Alex, ist eine Ausgabe von Debrett’s Adelsverzeichnis. Und eine sehr starke Tasse Kaffee.
Er stand auf. »Ladys – wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt?«
3
Alex war kaum einige Schritte den Korridor hinuntergegangen, als er abrupt stehen blieb. Elma hatte ihm versichert, dass Gwen vom Kummer erschüttert zu Bett gegangen sei, aber – sie war hier! Sie kam gerade die Treppe herunter und trug mit beiden Händen eine große Reisetasche. Und mit den Zähnen hielt sie einen Briefumschlag fest.
Dieser Anblick verblüffte Alex, schien er ihm doch geradezu von historischer Dimension zu sein. Für dieses Schauspiel könnte er Eintrittskarten verkaufen. Die korrekte Gwen Maudsley trug der Bequemlichkeit halber einen Brief im Mund.
Jetzt, da sie Kreativität zeigte, konnte er sich genau genommen für ihre Lippen auch noch ein paar andere Dinge vorstellen.
Es war ein heißer, durchschaubarer Gedanke, ärgerlich und überflüssig, und, das vor allem,
verwirrend
. Bei so vielen bereitwilligen, erwachsenen Frauen in der Welt hatte er wenig Achtung vor Männern, die auf Mädchenhaftigkeit standen. Unschuld war erklärtermaßen die Abwesenheit von Erfahrung, Persönlichkeit und Reife. Diese Abwesenheit zu begehren schien ihm ziemlich abartig zu sein. Gewiss spiegelte sich darin eine schreckliche Trägheit. Oder ein Mangel an Fantasie. Was zum Beispiel seinen Bruder Gerry dazu trieb, nur Künstler zu unterstützen, die seine kleine heile Welt nicht ins Wanken brachten.
Da er gerade an seinen Bruder dachte – schade, dass er bereits verheiratet war. Gerry brauchte bedingungslose Bewunderung, und Gwen war entschlossen, nichts anderes als liebenswürdig und angepasst zu sein. Ein langweiligeres Ziel konnte sich Alex gar nicht vorstellen.
Es sprach nicht für ihn, dass er einfach dastand und Gwen beobachtete. Sie war mitten auf der Treppe stehen geblieben, zog die Schultern hoch und versuchte, den Brief mit den Zähnen fester zu halten.
Wie lange war es her, seit er sie so nah vor sich gesehen hatte? Letzter Herbst, dachte er – im Garten von Heaton Dale. Der Wind hatte ihren Schal fortgeweht, und das Licht des späten Nachmittags, das durch die Kronen der Eichen gefallen war, hatte ein zartes filigranes Muster aus Gold auf ihre glatten blassen Schultern gemalt –
Nun ja, sie war schon immer blass gewesen, nicht wahr? Viele Mädchen waren das, daran war nichts Besonderes. Dass sie jetzt so blass war, mochte dem erlittenen Schock geschuldet sein.
Da sie einen schweren Tag gehabt hatte, trat Alex in den Flur zurück, damit
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