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Suche nicht die Suende

Suche nicht die Suende

Titel: Suche nicht die Suende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Eine rote Locke machte sich selbstständig und sprang hinter ihrem Ohr hervor, kitzelte sie an der Wange.
    Die Haarlocke wirkte unheilvoll. Alex bemerkte, dass er fasziniert darauf starrte, denn deren Botschaft schien klar: Er wurde Zeuge des mentalen und physischen Zusammenbruchs von Londons goldenem Mädchen. Wenn sich ihr Haar dabei gänzlich löste, hätte er nichts dagegen einzuwenden.
    Er verdrängte das Bild, indem er tief durchatmete. Jetzt brachte sie schon sein Gehirn zu einer solchen Fehlleistung. Wenn sie zusammenbrach, würde er es sehr viel schwerer haben, einen Mann zu finden, der sie heiraten wollte. Verrückten fehlte es gemeinhin an Prestige.
    Sie hob die Hand, um die Locke zurückzuschieben. »Schrecklich tragisch«, sagte sie geistesabwesend. »Kleine Jungen und Mädchen, ohne …« Sie sah auf ihre Reisetasche und runzelte die Stirn.
    »Pullover«, sagte er helfend. Im Allgemeinen war sie eine viel bessere Lügnerin als jetzt, beglückwünschte sie doch jede beliebige Anzahl von Menschen zu Tugenden, die sie gar nicht besaßen. Wäre es anders, hätte sie in diesem Spiel, das die feine Gesellschaft beständig spielte, niemals so große Beliebtheit erlangt.
    »Pullover, ja!« Mit einem weiteren strahlenden Lächeln, das ihm galt, und einem verstohlenen Blick auf den Brief, beugte sie sich herunter, um die Tasche aufzuheben. Danach zu urteilen, wie mühelos ihr das gelang, könnten sich tatsächlich Kinderpullover darin befinden. Für diesen Fall würde er jedoch zu dem Schluss kommen, dass sie wirklich den Verstand verloren hatte.
    Als sie sich aufrichtete, flackerte ihr Lächeln leicht, dann festigte es sich wieder. »Aber wie freundlich von dir vorbeizuschauen. Vor allem nach dieser fürchterlichen Szene. Ich hoffe, sie hat dir nicht zu viel Unbehagen bereitet. Ich denke, wir werden uns noch sehen, bevor du wieder ins Ausland reist?«
    Das war ein sehr ungeschickter Versuch, ihn loszuwerden. Alex gab seiner Beunruhigung nach und ging zwei Stufen hinauf. Gwens Pupillen sahen normal aus, sie hatte also keine Medikamente genommen. »Hast du heute einen Schlag gegen den Kopf bekommen?«
    Sie blinzelte. »Nein, natürlich nicht. Warum fragst du?«
    Er tippte sich an den Kopf. »Würdest du dieses Verhalten denn als … für dich typisch bezeichnen?«
    Ob dieser Frage fühlte sie sich sichtlich unbehaglich. »Alle sind im Salon, weiß du.« Ihr Blick stahl sich erneut zu dem Brief, der jetzt neben Alex’ Fuß lag.
    »Ja, von dort komme ich gerade. Willst du dich uns nicht anschließen?« Ganz gewiss konnte er sie nicht einfach gehen lassen, in diesem … Zustand. Was immer der auch zu bedeuten haben mochte. Vermutlich sprach es nicht zu seinen Gunsten, dass er ihn ziemlich faszinierend fand. Gwen Maudsley, die die Selbstkontrolle verlor. Er hatte immer eine Faszination dafür gehegt, wie Dinge sich auflösten – Uhren, Telefone, das Was-auch-immer. Aber bis jetzt hatte er vor der Demontage von Menschen eine Grenze gezogen. »Sicherlich können die Waisen noch eine Stunde warten?«
    Sie öffnete den Mund. Er zog eine Augenbraue hoch. Sie seufzte und schaute rasch an ihm vorbei, dann sagte sie leise: »Ich will offen zu dir sein. Ich möchte bei der Komiteesitzung nicht dabei sein.«
    »Komiteesitzung.« Allmählich fühlte er sich wie ein Papagei.
    »Ja, du weißt schon, das Komitee zur Errettung Gwens vor der ewigen Demütigung,
schon wieder
.« Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande. Es erwies sich jedoch als wenig stabil, denn es verschwand ganz rasch. »Aber du darfst dich nicht von mir davon abhalten lassen. Ich denke, du kannst ihnen von großem Nutzen sein. Sie haben ihre besten Ideen schon beim letzten Mal aufgebraucht.«
    Sie ging eine Stufe hinunter. Er legte die Hände auf beide Seiten des Geländers, um ihr den Weg zu versperren. »Und was ist mit dir? Solltest du an dem Ergebnis der Beratung nicht sehr interessiert sein?«
    Sie blickte auf seine Hände. »Nein, eher nicht. Ich habe mich für meinen eigenen Weg entschieden.«
    »Oh? Wie faszinierend. Wohin führt er?«
    Sie sah ihn nichtssagend an. »Ins Waisenhaus.«
    Richtig. Er beugte sich herunter und hob den Brief auf. Ein Keuchen ertönte über ihm. »Der gehört mir!«, rief sie.
    »Ich will ihn nur aufheben –«
    Etwas Großes, Weiches traf Alex am Kopf und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er taumelte zur Seite, den Brief in der Hand; dabei übersah er eine Stufe, fluchte und machte einen großen Satz einige Stufen weit

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