Suche nicht die Suende
Fingerspitzen über ihre Wange.
War ihm denn nicht klar geworden, dass sie es ernst gemeint hatte? Ein unbezähmbarer Impuls durchzuckte sie. Sie fasste nach seinem Handgelenk.
Sein Lächeln wurde breiter. »Du hattest da Schaum«, sagte er geduldig. »Auf deiner Wange. Ich wollte ihn nur wegwischen.«
Sie spürte seinen Puls unter ihrem Daumen. Sie öffnete den Mund, aber es kam kein Wort heraus. Sein Handgelenk fühlte sich kräftig und heiß an. Ihre Finger schlossen sich fester, probierten es aus.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Es war eine kaum wahrnehmbare Veränderung, in der sich seine Pupillen weiteten, während seine Lippen sich leicht öffneten. Aber ihr Körper verstand es. Dieser wilde Impuls ließ ihren Daumen härter zudrücken. Welch unglaublicher, räuberischer Gedanke:
Ich habe dich gefangen.
Er atmete hörbar ein. »Lass los.«
»Nein.« Das Wispern fühlte sich an, als zöge eine unbekannte Macht es aus ihr heraus. Als er ihren Blick erwiderte, empfand sie keinerlei Verlegenheit. Das schwache Leuchten der feenhaften Lichter, der abrupte Übergang, mit dem die Musiker einen Walzer zu spielen begannen, ließ die Szene surreal erscheinen. Traumgleich.
Sie brauchte also einen Skandal, um künftig Bewerber abzuschrecken?
Er
könnte doch ihr Skandal sein.
7
In Alex’ Augen spiegelte sich das Flackern der Lampen. Sein Mund verzog sich zu einem halben Lächeln, doch es sah eher unwillig und nicht nach echter Erheiterung aus. »In Ordnung«, sagte er leise. »Du hast die Unbescheidenheit besiegt. Und jetzt lass uns etwas ins Auge fassen, das ein wenig kultivierter ist.«
Er hat mich doch nicht missverstanden, dachte Gwen. Aber warum tut er dann so? Wärme durchströmte sie; instinktiv begriff sie, dass sein Rückzug in dieses Vortäuschen einen Triumph für sie bedeutete. »Und was –« Ihr Mund war trocken geworden. Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. Alex beobachtete sie, sein Mund schien sich anzuspannen. »Was wäre, wenn ich dich bitten würde, mich noch einmal zu küssen?«
Mit dem Handrücken berührte er ihr Kinn und strich leicht darüber. »Eine interessante Annäherung«, sagte er dann. Sein Daumen legte sich auf ihre Unterlippe und übte einen kaum spürbaren Druck aus. Ihre Lippen öffneten sich. Sie schmeckte das Salz auf seiner Haut, und alles in ihr schien sich zusammenzuziehen. Instinktiv beugte sie sich vor und berührte mit der Zungenspitze seinen Daumen.
Er holte hörbar Atem, zog die Hand fort und lehnte sich zurück. »Ein bisschen riskant für deine erste Nacht der Abenteuer.« Seine Stimme klang angespannt.
»Ich bin auch in der Stimmung, etwas zu riskieren.«
Seine Augen wurden schmal. »Ich schlage etwas Subtileres vor.«
»Ich spiele nicht, Alex.«
Er legte die Hand um ihr Kinn und hielt es überraschend hart fest. »Es ist aber besser, es beim Spielen zu belassen«, sagte er. »Zumindest zwischen uns.«
Sie rührte sich nicht, senkte auch nicht den Blick. »Warum?«
Er stieß einen Atemzug aus, was fast wie ein Lachen klang. »Sicherlich muss ich dir die Gründe nicht aufzählen. Du kennst mich gut genug. Denkst du, ich habe Interesse an Debütantinnen?«
»Nein«, erwiderte sie. »Aber ich bin keine Debütantin mehr.«
»Da gäbe es aber noch diese kleine Sache mit deinem Bruder.«
»Richard?« Es traf Gwen wie ein Schlag, und sie zog sich zurück. »Was hat
er
damit zu tun?«
Sein Blick hielt ihren fest, stetig und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Wenn wir nicht nur so tun als ob, dann müssen wir offen reden, nicht wahr? Ich habe meinen Schwestern die ganze Geschichte erzählt – über den Streit, den ich in der Nacht mit ihm hatte, in der er starb. Sie müssen es dir gesagt haben.«
»Ja«, bestätigte sie. »Aber Richard hatte natürlich unrecht –«
»Oh, du und ich, wir beide wissen das. Aber wir wissen auch, was er sich für dich gewünscht hat – und was er
auf gar keinen Fall
wollte.«
»Womit er dich gemeint hat.«
»Womit er
jemanden
wie mich gemeint hat«, korrigierte er sie ungeduldig. »Richard kannte mich gut, und er kannte auch dich gut. Seine Sorge war unbegründet, aber hätte sein Argwohn einen Grund gehabt, wäre sie durchaus angebracht gewesen.«
»Du willst also sagen, dass ich auf gewisse Weise … sein Andenken missachte … wenn ich dich bitte, mich zu küssen?« Der Gedanke war ungeheuerlich. »Richard wollte, dass ich glücklich bin, Alex.
Das
war es, was er wollte. Und ich suche mein
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