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die Tür zum Kindergarten wieder geöffnet wurde, so dass die anderen sich verstecken und noch länger draußen bleiben konnten als die ganze Gruppe. Aber am Tag zuvor war Ella nicht mit ihnen zusammen hineingegangen. Weil sie in einem der Schneetunnel unter dem Haus festgesteckt hatte. Und deshalb hatte einer der Zwillinge die Haustür unverschlossen gelassen. »Das war sehr vernünftig von dir. Wenn man alles bedenkt«, sagte Melum zu ihm. Das kleine, vorher so unglückliche Kindergesicht strahlte vor Erleichterung.
Knut kam wieder herausgekrochen, mit vor Anstrengung und Kälte rotem Gesicht. »Es ist, wie sie gesagt haben. Ein schönes Versteck für Kinder. Für einen Erwachsenen ist es fast unmöglich, da reinzukommen. Ich habe einige Kilo Schnee in den Nacken gekriegt.« Er zog sich die Jacke aus und schüttelte sie.
Endlich durften die Kinder nach Hause fahren. Die Eltern waren neugierig und wollten erfahren, was ihre Kinder da unter dem Kindergarten getrieben hatten. Jan Melum wechselte einen Blick mit Kalle. »Nichts«, sagte er. »Wir haben nur was nachgeschaut.« Kalle fand, das war eine gute Antwort auf so eine dumme Erwachsenenfrage. Er überlegte, ob er vielleicht auch Polizist werden sollte, wenn er erwachsen war.
Die beiden Beamten blieben noch ein paar Minuten im Kindergartenbüro, nachdem die Eltern mit ihren Kindern abgezogen waren. Die Uhr ging auf halb acht zu.
»Nun? Was denkst du?« Der Ermittler von der Kripo sah bereits jetzt müde aus, wie Knut fand.
»Man kann nie wissen. Aber hier deutet nichts darauf hin, dass das kleine Mädchen entführt worden ist. Der Kindergarten hatte sie im Blick bis kurz vor dem Zeitpunkt, als sie vermisst wurde. Eine der Angestellten hat sie auf dem Flur gesehen zu einer Zeit, nachdem alle Kinder am Nachmittag vom Spielplatz wieder reingekommen waren. Also wissen wir, dass sie nicht unter dem Haus geblieben sein kann.«
»Dass wir nie herausgekriegt haben, wo die Kinder sich versteckt haben«, seufzte die Leiterin resigniert. »Mir ist dieses Loch in der Schneewehe nicht aufgefallen. Und ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, mitten im tiefsten Winter unter das Haus zu kriechen.«
»Die Welt der Kinder ist anders als unsere.« Jan Melum sah traurig aus. »Sie sehen andere Dinge als wir. Und sie halten Zustände aus, die wir Erwachsene nicht im Traum aushalten würden.«
»Aber was ist mit den Spuren auf der anderen Seite des Spielplatzes? Diese Rinne im Schnee, die zum Hilmar Rekstens vei hoch führt?« Ingrid Eriksen schaute Knut an. Er hatte mehrere Male betont, dass sich niemand in der Nähe dieser Spuren aufhalten dürfte, bevor sie nicht gründlich untersucht waren.
»Scheiße.« Der Beamte vom Festland richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Die hätte ich fast vergessen. Du hast sie in deinem Bericht erwähnt, Knut. Mein Fehler. Wo sind sie, zeigst du sie mir?«
In dem Moment klingelte Knuts Handy. »Ich muss rangehen«, sagte er. »Das ist bestimmt Kjell Lode, der etwas in dem Haufen von Tipps gefunden hat.« Dabei wusste er bereits, dass es nicht der Denkmalschutzbeauftragte war, der anrief. Der Name Hannah Vibe, Krankenschwester und mehr als eine Freundin von Knut, war auf dem kleinen Bildschirm erschienen. Knut ging auf den Flur hinaus.
»Hannah?«
»Knut, mein Gott. Knut, du musst kommen. Sofort.«
»Aber meine liebe Hannah. Was ist denn los? Was ist passiert?«
»Vorm, vorm Laden … komm schnell … es ist schrecklich, Knut. Selbst für mich.« Sie redete unzusammenhängend. Schluchzte. Er hatte sie bisher immer nur als Mensch erlebt, der sich voll unter Kontrolle hatte. Vielleicht mal wütend. Aber nie unter Schock stehend, so wie jetzt. Als Krankenschwester auf Spitzbergen hatte sie schon so einiges gesehen. Unfälle auf Spitzbergen konnten sehr dramatisch vonstattengehen, blutig und heftig.
»Hannah, immer mit der Ruhe. Ich bin in ein paar Minuten bei dir. Aber kannst du mir sagen, was überhaupt passiert ist? Nur ein Stichwort?«
Er hörte ihrem Stammeln zu, der monotonen, abgehackten Stimme, und langsam begriff er, was vor der Einkaufshalle passiert war. Grau im Gesicht lief er zurück ins Büro der Kindergartenleiterin. »Ich muss sofort hoch zum Supermarkt«, sagte er. »Da ist etwas Schreckliches passiert. Ein Auto hat auf dem Parkplatz Feuer gefangen. Und offenbar saß ein Mann drinnen. Seine Kleider brennen.«
Knut lief wieder auf den Flur hinaus, schob hastig seine Füße in die Stiefel und warf sich die Jacke über.
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