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schlimmste Katastrophe, die sich ein Kumpel denken konnte. war eine Gasexplosion tief unten in einer Strecke. Aber noch zehnmal schlimmer – nein, hundertmal schlimmer – war eine Kohlenstaubexplosion. Der Kalk sollte verhindern, dass der Kohlenstaub, der natürlich überall in einem Schacht lag, sich bei einer Gasexplosion entzündete.
Die Männer diskutierten, trocken im Mund, mit dem bitteren Geschmack von Kalkstaub. Aber wie sie das Problem auch drehten und wendeten, immer wieder kamen sie zu den gleichen Schlussfolgerungen. Es war zu viel Gas in der Strosse, und es sickerte in den Rest des Schachts aus. Das Gas stammte aus einem Hohlraum im Berg hinter den Kohleflözen. Darin waren sich alle einig. Aber was sollten sie nun tun?
»Wenn es tatsächlich so ist, dass ein bisher unbekannter Teil des alten Schachts sich so weit in den Berg hinein erstreckt, dann wäre es das Beste, wenn wir durchbrechen und die ganze Zeche durchlüften. Also durch das Mundloch vor der alten Zeche reingehen, von dort Ventilatoren hineinbringen und Kabel ziehen und so die Luftzirkulation in Gang bringen, um damit das Gas herauszuziehen«, meinte einer der herbeigerufenen Experten.
Der Steiger war jedoch anderer Meinung. »In der alten Zeche ist seit vielen Jahren niemand mehr gewesen. Der Weg dort hinauf ist schwierig, ich würde fast sagen, unzugänglich. Meiner Meinung nach bleibt uns nichts anderes übrig, als die ganze Strosse zu schließen, vielleicht sogar die ganze Strecke. Wir müssen hier im Schacht einige Ventilatoren installieren mit Röhren, die an die Oberfläche führen. Und dann müssen wir die Messungen genau überwachen. Mit ein bisschen Geduld wird der Gasgehalt nach einer gewissen Zeit auf ein normales Maß zurückgehen. Und dann können wir zurückkommen und hier weiter abbauen.«
»Und in der Zwischenzeit?«, fragte der Direktor ruhig. »Wo willst du abbauen? Wir können die Produktion zum Teil herunterfahren, aber nicht viel. Zumindest müssen wir den Kohletransport zum Kraftwerk unten in der Stadt aufrechterhalten. Sonst lässt sich Schacht 7 nicht mehr halten.«
»Ja …« Der Steiger schob seinen Helm nach hinten und kratzte sich am Kopf. »Das haben wir noch nicht diskutiert. Aber ich fürchte, wir müssen erst mal in einen ganz anderen Teil der Zeche umziehen.«
Der Direktor hatte verkniffen ausgesehen, als er die Chefs aus der Anlage über Tage hinausführte, zu den wartenden Autos. Strosse 12 blieb bis auf weiteres geschlossen. Der Kohleabbau sollte erst wieder aufgenommen werden, wenn der Gasanteil deutlich gesunken war. Vielleicht musste der gesamte Ort aufgegeben werden. Nur der Rote Robert hatte die volle Übersicht darüber, welche ökonomischen Konsequenzen das haben würde und wie gefährlich das für die Zukunft der Zeche war.
Gegen drei Uhr zog Steinar sich an und schob die dicken Wollsocken in seine schweren Lederstiefel. Er setzte sich die gefütterte Ledermütze auf und wickelte sich den Schal um den Hals. Wenn jemand ihn anhalten und fragen würde, ob er denn nicht krank sei, dann konnte er immer noch einen Hustenanfall simulieren, der jedem Grippekranken zur Ehre gereicht hätte. Es musste ja wohl allen klar sein, dass er etwas zu essen brauchte. Er stellte den Wagen am Polarhotel ab und nahm den Fußweg über den Marktplatz zum Café Schwarzer Mann.
Ganz spontan winkte er Ella zu. Sie stand an einem der Fenster des Kullungen-Kindergartens und schaute ganz allein mit traurigem Blick hinaus. Er blieb einen Moment lang stehen und betrachtete die kleine Person da drinnen. Wenn er erst einmal von Kristian bezahlt worden war, dann würde er sie mit sich nehmen in den Süden. Mindestens vierzehn Tage Urlaub. Und dann würde er aufhören zu trinken. In seine Tagträume versunken, fühlte er sich gleich besser. Aber peinlicherweise spürte er, wie ihm die Tränen die Wangen hinunterliefen. Sie erstarrten sogleich zu Eis und brannten auf den Wangen. Vielleicht war er ja doch krank? Ella sah ihn mit großen Augen an, und plötzlich verschwand sie vom Fenster.
Sie hatte ihn falsch verstanden. Er hatte es nicht so gemeint. Aber als er sich umdrehte und ein paar Schritte den Fußweg entlang machte, auf der Höhe des Parkplatzes vor den Räumen der Spitzbergen-Post angelangt war, da kam sie hinter ihm hergelaufen. Mit offenem Schneeanzug, den Schal eilig um den Hals geschlungen, die Bärenmütze schief auf dem Kopf, die Handschuhe in der Hand.
»Papa, Papa! Warte doch auf mich.« Sie blieb neben
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