Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
einem Schalter stehen. Ein deutscher Traum: hinter einem Schalter sitzen.« Nur das Wort deutsch ist falsch, der Traum geht weltweit um.
Ein Freudenschrei für jeden, der jetzt des Wegs gekommen wäre und vor mir seine Phantasien und Sehnsüchte ausgebreitet, mir von seiner Sucht nach »woanders« geredet hätte, einer eben, der andere nicht duldete, sondern darauf bestand, sich an ihnen zu bereichern, und umgekehrt, sie zu bereichern. Einer, der aufmachte, nicht zuriegelte. Einer, der federte, nicht hockte.
Aber der Schwärmer kam nicht, so war ich noch immer Herr Luft, der Irrläufer, und verlief mich zum Wirt am Eck . Hier war es duster und schon um 14.11 Uhr klebten drei Barflys auf den Kneipenhockern. Sie stierten über den Tresen und machten die Biergläser leer, zügig, wortlos, routiniert. Hier waren sie schon einen Schritt weiter als die restlichen Bewohner, hier übten sie bereits aktiv Sterben , während sie ja bei Wüstenrot, Landamt, etc. lediglich aktiv Sterbehilfe leisten .
Das Treffen mit dem Pfarrer strich ich, obwohl bereits telefonisch mit ihm verabredet. Ich erinnerte mich plötzlich an den Katechismus-Unterricht meiner Jugend, wusste wieder, dass Religionen eine Brutstätte der Intoleranz und zerebralen Unbeweglichkeit waren. Ich musste es nicht nochmals gesagt bekommen. Außerdem wollte ich einen Helden treffen, keinen Aufsager weihrauchranziger Weissagungen.
Und die Stadt schenkte ihn mir, den Kämpen. An einem höchst unerwarteten Ort, mitten im Allianz-Gebäude. Wo mein letzter Versuch stattfinden sollte, die Zukunft meines Sohnes zu organisieren. Ich wurde zum »Finanzdienstleistungsspezialisten« Reinhard M. geführt. Und Magie brach aus. Natürlich legte mir der Spezialist die Mappe BonusLife vor, schleuderte mir »je früher, desto besser«, »monatlich abrufbar«, »Kapitalgarantie« und zwanzig andere schonungslose Wörter entgegen. Natürlich. Aber dann hechtete ich dazwischen und stellte ihm die Frage aller Fragen: »Weltreisender oder Spareinleger?« Und aus dem Sprechautomat wurde im Handumdrehen, absolut aberwitzig, ein sinnlicher Mensch. Was für eine seltsame Alternative, rief er entzückt, klar reisen, klar weltreisen. »Unbezahlbar« wäre das, ja » die Gelegenheit, Eigensinn zu üben«. Der Mann hob ab, erzählte, wie er als junger Kerl durch die USA geradelt war, wie er noch heute sich nährte von den damaligen Begegnungen. In der Schule – und in diesem Moment wurde R. M. mein Superstar – müsste das »Pflichtfach Welt« eingeführt werden. Als Gegengift im Kampf gegen die »Scheuklappen-Seuche, von der so viele hierzulande infiziert sind.«
Ja, Reinhard M. wurde mein Gott. Trotzdem musste ich ihm widersprechen, ein einziges Mal, denn das Wort »hierzulande« war falsch. Beamte mit Recht auf lebenslanges Umbetten, schwadronierende Pfaffen, bedenkenschwere Entwerter und andere Hasenfüße, die schon früh das Angsthaben und Wegdämmern übten, sie alle waren global zu haben. Auch bei mir ums Eck in Paris. Männer und Frauen wie jene aus dieser Stadt gab es in Peking, in Adelaide, in Buenos Aires, in Oberursel und in Macondo. Der Mief steingegossener, ewig sesshafter Gedanken, er geht allerorten um. Dabei ist der Unterschied zwischen den blindwütigen, engherzigen Stubenhockern und den Zeitgenossen mit den Flügeln unter den Sohlen eher winzig. Nur sieben lausige Buchstaben lang, nur ein Flüstern, nichts als eine Ahnung: Neugier.
VIELE KNIPSEN UND EINER SCHAUT HIN
Meist arbeite ich als Reporter allein. Weil ich die Hure sein will. Weil ich will, dass jeder mich anmacht. Und ich jeden anmachen kann. Weil ich anschaffen gehen muss, Geschichten anschaffen. Oft auf die Schnelle, leider. Muss anstiften, muss den anderen, den Fremden, dazu bringen, dass er redet, weiterredet. Und dazu braucht es Intimität. Wo kein Dritter stören darf. Keine Gattin, keine Kinderschar, und – am wenigsten – ein Fotograf. Jener Mensch mit den drei schwarzen Penissen, die vor seiner Brust baumeln. Wie soll einer seine Geheimnisse preisgeben, wenn jemand vor ihm steht und ihn blitzlichtblendend – treffliches Wort – abschießt.
Dennoch, bisweilen reise ich zu zweit, geht nicht anders. Die besseren Fotografen erkennt man sogleich daran, dass sie darauf bestehen, ebenfalls allein zu arbeiten. Die kapiert haben, dass ein Fotograf den Text nicht bebildern soll, sondern bereichern, erweitern. Dass er seine Vision der Welt zeigen soll. Und der Schreiber eine andere. Nur schwache Schreiber
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