Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
hierzulande war der Nichtraucher-Wahn angekommen. Der Ticket-Mann wetzte nach hinten und zeigte streng auf den Glimmstängel: Stopp! Eine Farce bahnte sich an. Wir standen gerade an einer Ampel und die Abgase der umliegenden fünfzig Auspuffrohre – plus die eigene Giftschleuder – zogen an unseren Köpfen vorbei.
Seit dreißig Jahren bin ich Radfahrer und passiver Autofahrer , atme den Dreck der größten Luft- und Leibverpester im Universum. Warum steht nicht über jeder Stoßstange (wie »Rauchen tötet!« auf jeder Zigarettenschachtel): »Fahren liquidiert Männer, Frauen und Kinder!« Warum hängt man keinen Fünf-Dollar-Vorhang in Busse? Dann dürfen wir uns, die Unbelehrbaren, im hinteren Drittel vergiften, während vorne die Latzhosen- und Körnerfresser-Fraktion sitzt und die Gebetsmühlen dreht. Auch die muss sterben, aber ganz offensichtlich will sie kerngesund abtreten. Schon Goebbels wusste Bescheid, schon er schien besorgt um das Leben seiner Mitbürger, sein Appell schallte ohne Wenn und Aber: »Die deutsche Frau raucht nicht!«
Hierher, zum weltweiten Wahn der Gesundheits-Ayatollahs, passte die Notiz, die ich vor Tagen in der Bangkok Post gelesen hatte. Zu sehen war ein Foto mit dem Kopf eines GI’s im Irak. Gefreiter Miller sah gut aus, Drei-Tage-Bart, Schweißspuren, die frisch angezündete Zigarette lässig im rechten Mundwinkel. Das Bild eines Kämpfers nach Einnahme Fallujas durch amerikanische Truppen. Ein Held entspannte. Der Text darunter wies darauf hin, dass das Foto – zuerst in den USA veröffentlicht – Proteststürme beim rechtschaffenen Volk ausgelöst hatte. Hunderte Leserbriefe waren inzwischen eingetroffen, ein unsäglicher Affront sei das, eine Monstrosität. Was? Das Umlegen irakischer Zivilisten? Das Bombardieren Unschuldiger? Das Foltern von Gefangenen? Das Kriegführen in einem Land, das keinem Amerikaner etwas zuleide getan hat? Mitnichten! Der Skandal ist nicht Söldner Miller mit der noch warmen Knarre in der Hand, nein, der Skandal ist, dass wir hier einen rauchenden Söldner sehen. Killen ja, aber als Nichtraucher bitte!
EINE BADEWANNE IN SAIGON
Mit Taxifahrer Hon von der kambodschanischen Grenze nach Saigon. Hon gab sich mysteriös, ein Dutzend Mal sprach er in sein Handy, knapp, keine Gegenrede abwartend. Wäre ich John Le Carré gewesen, dann hätte ich jetzt – ohne ein Wort Vietnamesisch zu verstehen – einen Thriller erfinden können. Mit Hon, dem Doppelagenten, und mir, dem ahnungslos in seine Hände gefallenen Reporter. Mit perfiden Agentinnen und abgründig einsamen Leibwächtern. Und einem fulminanten Happy Ending: Hon und ich, hoch über dem Mekong, an den Landebügeln eines Helikopters hängend und tollkühn (er) für das Böse und (ich) für das Schöne kämpfend.
Als wir das brodelnde Saigon erreichten, traf mich tatsächlich ein Schwinger. Nicht von Hon, der zuvorkommend die Tür öffnete, nein, es war die Hitze, die einem beim Verlassen des Wagens entgegenfauchte.
Als Toter legte ich mich in die Badewanne meines Hotelzimmers. Nur die Glut der Tage? Nur die Mühsal des Reisens? Kam jetzt die Rechnung für den pausenlosen Missbrauch am Körper? Für die zwangsverordnete Ruhelosigkeit, die geizige Ration Schlaf? War jetzt der Reservetank an? Oder war ich tot, weil ein täglicher Kampf gegen einen verwundeten Rücken letzte Reserven auffraß? Hatte doch ein Pariser Autofahrer drei Tage vor meiner Abreise beschlossen, mir den Weg abzuschneiden. Mit dem leidvollen Effekt, dass ich gegen eine Hausmauer prallte und wie ein Käfer vom Fahrradsattel fiel. Rückwärts, rücklings. Das sah umso bizarrer aus, als ich kurz davor am rechten Mittelfinger operiert worden war und noch einen mächtigen Verband trug. Eben an einem so aufregenden Gebrechen wie einer Nagelhautentzündung litt, somit ab sofort an zwei Wundherden laborierte, am Nagel und am Rücken. Reporter leben gefährlich – zu Hause.
Wie wahr. Wer zehn Jahre als Radler in Paris überlebt, ist ein Held, ein zäher Held. Insgesamt habe ich vier Unfälle hinter mir. Alle verloren. Und hundert Beinah-Unfälle. Die ich alle verloren hätte. Denn die Vollgas-Athleten, die dem Abgaslosen, dem Arglosen, dem Geräuschlosen nach der Gesundheit (dem Leben?) trachten, ziehen immer als Sieger weiter. Immer unbehelligt, immer ohne Blutflecken und verbeulte Knie.
Aber Baden stimmt milde, die Wärme heilt den Körper, ja besänftigt das gekränkte Herz. Als ich nach einer Stunde dem Wasser entstieg, blieb
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