Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
vierzehnjährigen Sohn Ferdinand. Ich wollte ihn versorgt wissen. Die freundliche Bernadette Z. bat mich, Platz zu nehmen. Sie sorgte sich gleich mit und ließ seitenweise Versorgungspläne ausdrucken, legte mir einen Trumpf nach dem anderen vor: Dynamisches Bausparen, Achtzig-Prozent-Jubiläums-Bonus, Vorsorge-SparenPlus, CleverBausparen, Vier-Prozent-Prämiengarantie, Effektivverzinsung, Maximales Guthaben . Lauter Wörter, die Ferdinand die blaueste Zukunft versprachen. Leider sprach Benandette nie die Wörter Jetzt oder Heute oder Gegenwart aus. Alles, was sie hier verkauften, war Zukunft. Für die sollten wir uns »rüsten«. Sagte sie. Für das augenblickliche Leben trainierte hier niemand. Kein Wort darüber kam der Freundlichen über die Lippen.
Ich fragte Bernadette, was ich tun sollte. Dem Sohn zum achtzehnten Geburtstag eine Weltreise schenken oder ihm einen Grundstock zur finanziellen Absicherung legen? Jetzt schwankte Bernadette, Weltreise klang sexy. Sie schwankte, fiel aber nicht um, blieb allen Ängsten treu: »Nein, unbedingt Sicherheit!« Okay, nach den ersten sieben Jahren Sparen könnte neu über die Welt verhandelt werden, »denn dann«, so Bernadette wunderbar kryptisch: »hat das Geld einen Wert«.
Die Wüstenrot-Menschen gehören zu der umtriebigen Berufsgruppe der »Fessler«. Die uns fesseln, anbinden, festzurren, uns zum Sitzen und Sitzenbleiben verführen. Nun denn, gebiert Sesshaftigkeit tatsächlich Intoleranz? Geistigen Müßiggang? Nicht unbedingt, nicht immer, aber es schafft das nötige Biotop, die bleierne Atmosphäre, das muffige Klima. Denn wer sich bewegt, fortbewegt Richtung Fremde, der riskiert, dass seine Urteile und Vorurteile auf der Strecke bleiben und Erfahrungen über ihn kommen, die ihn reicher machen, geistreicher allemal, ja ihn irgendwann dazu überreden, den anderen – was für ein Scheißwort – zu »tolerieren«, zu dulden. Nun ja, angesichts der wild wuchernden Hirnlosigkeit auf Erden wäre das ein Fortschritt.
Absurde Träume. Statt einen Vierzehnjährigen (und seinen Vater) mit der Peitsche zurück auf die Straße – in die Welt – zu jagen, richten sie ihn zum Frühgreis ab. Damit er in einem Wüstenrot-Häuschen – gebuckelt von Hypotheken und Ratenzahlungen – seine Restzeit absitzt. Wie soll der Mensch da Zeit finden für die Welt? Für Weltwachheit? Für eigenmächtiges Denken? Für Entwürfe jenseits der eigenen Schädeldecke? Wie noch Geld haben fürs Wandern in entlegene Länder? Hin zu Männern und Frauen, die so verdächtig anders sind als er?
Wer sich in Sicherheit begibt, kommt darin um. Sicher.
Ich irrte weiter, war noch immer Herr Luft, der seinen Sohn in Sicherheit bringen wollte. Im Rathaus wuchs ich über mich hinaus und schaffte tatsächlich den Satz, dass »Ferdinand Beamter werden will«, fragte kaltblütig, wo und wie er damit anfangen sollte. (Hätte ich im tatsächlichen Leben einen Filius, der sich zum Duckmäuser und Aschfahlen züchten ließe, ich würde ihn zur Adoption freigeben.) Aber die »Stadt verbeamtet nicht mehr«, hörte ich, hier gäbe es nur noch Angestellte. Ich müsste zum Landamt 2 , dort hätte ich »sicher mehr Glück«. Ja, ein Glück nannten sie eine solche Aussicht.
Ich ging und bekam im dritten Stock, »vorletzte Tür hinten«, eine imposante Website-Adresse ( www.xxxx/themen/bildung/ bildung/sch_fragebogen.shtml ), von der ich mir die nötigen Formulare herunterladen könnte. Um alles zu wissen über die Karriere eines »Beamtenanwärters«. Und bekam den Rat, sollte es eilen, mich zum Landamt 1 zu begeben.
Ich begab mich und trat ins Zimmer der schönen Emilie E., sie hatte die Unterlagen gleich in der Schublade. Schwarz auf weiß und ungetröstet konnte sie jeder mitnehmen. Noch untröstlicher wohl für jene, die dabei erfahren mussten, dass laut Emilie auch »das Land immer weniger Beamte einstellt«. Beim Abschied sagte sie noch den unschuldig-verräterischen Satz, dass sie, die Beamten, »der Regierung zu teuer kommen«. (Wie lange doch ein Staat braucht, um die einfachsten Tatsachen ausfindig zu machen.) Da Emilie seit Abiturabschluss Beamtin war, hatte sie sich immer nur von A nach B bewegt, immer nur von einer, wörtlich, »sicheren Basis« geträumt. Von einer Weltreise für einen Achtzehnjährigen wollte sie folglich nichts wissen. Sicher eine ganz und gar unsichere Basis. Sie widersprach mit Nachdruck. »Eher ungünstig«, meinte sie.
Wie sagte es Tucholsky: »Ein deutsches Schicksal: vor
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