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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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aller Grimm zurück. Würde die Welt einmal auf mich hören, dann käme jetzt ein Dekret, nein, zwei Dekrete: den Erfinder des Fahrrads heiligzusprechen! Und dem Genie, das den ersten Bottich zimmerte, posthum den Friedensnobelpreis zu verleihen! Denn keine zwei anderen Gerätschaften existieren, die vehementer zum Wohl der Menschheit beitragen.

    AIDS WÜTET
    Kürzlich las ich einen Schundartikel, hinterher fiel mir ein Satz von Ludwig Wittgenstein ein: »Wer Moral sagt, will betrügen.« Der Schund stammte von einem deutschsprachigen Empörer, so einem moralinsauren Wichtling, der seine schriftlichen Albernheiten per eregierten Zeigefinger verfasste. »Aids wütet«, so fing der Sprachwüterich an. Im fernen Thailand tobt es und unser Mann in Asien – wahrscheinlich hockt er irgendwo zwischen Lüdenscheid und Wurmansquick – outete sich als Gutmensch. Das ist jene Rasse von Zeitgenossen, die mit Kuhblick und Ignoranz grundsätzlich andere verantwortlich macht, jeden anderen, nur nie die Verantwortlichen.
    Unüberhörbar vernimmt der Leser den gellenden Entrüstungsschrei des Aufrechten. Natürlich sind nicht die Thais an der Seuche schuld, sondern die weißen Hurensöhne aus Europa, die ins Land des Lächelns jetten, um lüstern und gnadenlos den HIV-Virus zu exportieren. Ach Gottchen. Als ob die Daddys, die sich auf den Weg zur Herbertstraße in St. Pauli machen, nicht auch Sextouristen wären. Die einen reisen mit der U-Bahn an, die anderen nehmen den Flieger. Der Zweck ist allemal der gleiche: das kurzfristige Anmieten eines begehrenswerten Körpers.
    »Une érection ne se discute pas!«, bemerkte Jean Cocteau, die Erektion ist da, indiskutabel da. Und keine Moral hat sie bisher abschaffen können. Nicht der Geifer der Religionen, nicht die Aussicht auf tödliche Verletzungen. Sex ist so unabschaffbar wie das Geschäft mit ihm. Deshalb soll keiner Schuldgefühle und Heuchelei predigen, sondern aufklären über die chemisch-biologischen Vorgänge, auf die sich zwei einlassen. Denn sobald die beiden begriffen haben, dass sie an einem lebensgefährlichen Spiel teilnehmen, wenn sie gewissen Regeln nicht folgen, ist das Problem Aids – was den Anteil Sex betrifft – aus der Welt.
    Ein Spaziergang durch die Puffs im thailändischen Hinterland lässt ahnen, dass strenge Hygieneregeln eher selten sind. Zudem gehört die Prostitution seit Jahrhunderten zur Kultur des Landes. Lange bevor die ersten »Fick-Bomber« hier landeten. Das Aids-Problem im Königreich ist hausgemacht. Das wissen die Thais (unser Moralapostel weiß es nicht). Und sie wissen von ihrer Zuneigung zum hilfreich-enthemmenden Alkohol, sprich, ihrer Unlust, im entscheidenden Augenblick nach einem Kondom zu greifen. Sie suchen folglich nicht nach Sündenböcken. Was hiesige Stricher und Prostituierte gegen den harten Kern einer unbelehrbaren Kamikaze-Klientel schützt – Kundschaft, die gern tötet und sich gern töten lässt, wenn sie »zum Liebemachen« antritt –, sind Kenntnis und das Gefühl von Verantwortung. Aufklärung kann helfen, Moralkeulen können nichts. Außer Wichtigtuern das erhabene Gefühl zu vermitteln, sie wären wichtig.

    VOM ELEND DER SESSHAFTIGKEIT
    Charles Bukowski:
    Sie machen mich krank
    wie sie da auf den Tod warten
    mit dem Gleichmut
    von Verkehrsampeln
    Tatort Manhattan. Nur ein leises Wimmern war zu hören. Es kam von George F., der hinter seiner Wohnungstür seufzte. Undenkbar für ihn, sie zu erreichen. Der Weg zu ihr war verbarrikadiert, wie die fünf Meter zum Telefon, zum Fenster, zum Balkon.
    Das Röcheln rettete ihm das Leben, denn ein Passant kam vorbei und verständigte die Feuerwehr. Mit schwerem Gerät musste George ins Freie gehievt werden. Die Diagnose war schnell gefunden, die Krankheit schien weit verbreitet: Der Mensch hortete, konnte von nichts lassen, seine Wohnung glich einer Müllhalde, er war ein Weltmeister der Sesshaften geworden, er saß fest . Sogar der Katzensprung zur Tür – und hinter jeder Tür wartet die Welt – war ihm verschlossen. So viel Gerümpel stand im Weg. Er siechte in der eigenen Unbeweglichkeit.
    Tatort Mitteleuropa, eine kleine Großstadt, der Name spielt keine Rolle, hier sieht es aus wie überall. Ich bin als Reporter unterwegs, ich soll berichten, wie (radikale) Sesshaftigkeit mürbe macht, wie sie ablenkt von der Welt, von anderen Weltbewohnern, anderen Ideen.
    Ich besuchte das Wüstenrot-Büro. Ich nannte mich ab sofort Thomas Luft und machte mir Sorgen um meinen

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