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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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alle an Schönheit, an Geist, an die sinnlichen Beschäftigungen des Lebens erinnern: »Eligere«, sprich auslesen, im Sinne von aussuchen, auswählen, sprich »Auswahl der Besten«. Oder: »intellegere«, sprich, mit Sinn und Verstand wahrnehmen und erkennen, sprich Intelligenz.
    Eine Fleischsemmel wahrnehmen funktioniert auch ohne Sinn und Verstand, da reicht ein Nasenloch. Aber Buchstaben dechiffrieren, die Temperatur eines Textes messen, erkennen, ob es einer verstanden hat, bravourös ein Wort hinter das andere zu stellen, das fordert Lebenswissen, Wissen um die unbeschreiblichen Gesetze sprachlicher Schönheit, ein Gefühl für Balance, für das Leichte, für das Herzbewegende.
    Und Mut. Um den Autor beim Abheben anzuspornen. Damit der Mensch sich traut, zu provozieren, nach verstörenden Gedanken zu suchen. Und Standhaftigkeit, um den Autor – nehmen wir das kluge Wort von Reich-Ranicki – »vor sich selbst zu schützen«. Soll sagen, ihm ins Wort zu fallen, ihn zu bewahren vor den Abgründen der Geschwätzigkeit. Da, wo sie schwätzen, die Autoren, und anderer Leute Zeit stehlen. Statt zu erzählen, statt zu bereichern, statt Lebenszeit randvoll zu machen.
    Das so Seltsame an diesem Duo: der Lektor sollte nicht besser schreiben als der andere, aber besser – haargenauer – lesen. Lesen können. Damit er mit der Hellhörigkeit eines Minensuchgeräts über den angelieferten Text spürt und die Manien und Eitelkeiten, die Dünnstellen und Hohlräume, die stinkigen Nebensätze ausfindig macht. Und den Autor bekniet, ein paar seiner Kinder – die virtuellen, die Kopfgeburten – wegzuwerfen. Weil sie nicht taugen, weil sie zu lang sind, zu kümmerlich, zu geistlos. »Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen«, die Anmerkung stammt von Theaterkritiker Friedrich Luft. Das ist ein schwieriger Satz für Schriftsteller. Und ein strammer Merkvers, um sich gegen den eigenen Größenwahn zu wappnen. Diesen Wahn, statt hundert gleich tausend Worte zu schreiben.
    Doch: Der Schreiber hat das Recht auf ein inniges Wohlwollen. Der Lektor muss den Text grundsätzlich mögen, ihn respektieren, überzeugt sein, dass er hinaus in die Welt muss. Fehlen die drei, das Wohlwollen, der Respekt, die Überzeugung, dann müssen die zwei auseinander. Kein Schreiber hält einen Leser aus, der sich abwendet. Auch keinen, der mit Spitzhacke und wuchernder Profilneurose über das Manuskript herfällt. Folge: Beides muss der Lektor-Mensch können, Ja sagen und Nein sagen. Muss dem Schreiber, dem Verletzbareren, eine Lobrede halten und – gleich hinterher – feuerwehrrot jene Flecken markieren, die ungut riechen. Nach Denkfaulheit und Spracharmut, nach billig und mäßig und warzenhässlich.
    Mein Lektor war gut zu mir. Und gehörig streng. Was von Anfang an imponierte, war seine Begeisterung. Die längst da war, bevor wir zusammenkamen. So ein rabiater, auf ewig angelegter Überschwang für die deutsche Sprache. So eine Begabung, die imstande ist, stundenlang über Vierteltöne zu diskutieren, über Kommas, über keine Kommas, über die Stimmigkeit des einen Worts und das um Haaresbreite weniger stimmige. Wie alle, die zur ungeheuren Minderheit jener gehören, die nach Wörtern hungern, schärfer formuliert, nach Wörtern, die gerade jetzt, genau an dieser Stelle, passen, hatte er einen Satz von Mark Twain auswendig gelernt: »Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist derselbe wie zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen.«
    Als Nachwort soll ein Märchen aus dem Leben von James Joyce stehen. Denn Märchen über Helden tun allen gut, auch uns, dem Fußvolk, dem schreibenden, dem lektorierenden. Wohltuend, weil furchtbar wahr und höchst amüsant. »Durch Schreiben kann man das Denken verlangsamen«, notierte Martin Walser einmal. Davon handelt die Fabel. Von den schnellen, schlampigen Gedanken und jenen, für deren Formulieren es beängstigend viel Zeit braucht: Joyces Kopf liegt erschöpft auf seinem Schreibtisch, das Werk stockt, es klingelt, ein Freund kommt. »Jimmy, was ist los? Das Œuvre?« Natürlich das Œuvre. Der Freund, Anteil nehmend: »Sag, wie viele Worte hast du denn heute geschrieben?« Und Joyce, der Erschöpfte: »Nun, sieben.« Und der Besucher, freudig erregt: »Aber Jimmy, das ist doch nicht schlecht, ich meine für dich.« Und unser Held: »Jaja, das mag schon sein. Aber ich weiß noch immer nicht, in welcher Reihenfolge ich sie hinschreiben soll.«

DER WEG INS FREIE

    VON DER

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