Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Einverständnis.
Sagten sie auch etwas von der Ware – aber
einziges Ziel: dass ihre Hände sich streiften
über den Taschentüchern, dass nah sich kämen
die Gesichter, die Lippen wie im Zufall …
Es gibt eine Sprache, bei der dem Leser der Herzmuskel schmerzt. Weil sie an die eigene Mutlosigkeit erinnert, an unsere Finten, jene Momente, in denen wir hätten stark sein sollen. Aber uns anders entschieden, eben für das Laue, das Träge, die Sucht nach Komfort. Wer Kavafis liest, der wird diesem Schmerz nicht entkommen. Und nicht den Mahnungen, es sich anders zu überlegen. Er wird dessen Sprache als Lebenselixier begreifen, als zornigen Weckruf, als Peitsche.
Ich saß damals lange in dem Café. Nahe den Bomben, aber in Sicherheit. Kavafis schmiedete Verse und andere schmiedeten Rachepläne, hetzten in den Krieg. Und die einen durften reisen und Gedichte lesen und die anderen mussten den Hass ausbaden und zum Sterben antreten. Ich weiß bis heute nicht, warum das so ist. »Life is a bitch.« Das sagte kein Dichter, sondern Joey, ein amerikanischer Mechaniker, bei dem ich mit einer kaputten Pleuelstange vorbei gekommen war. Keine göttliche Zeile, aber durchaus bemerkenswert.
HOSNI, DER EINLULLER
Ach, Kairo. Wer die Passkontrolle hinter sich hatte, betrat eine Arena. Ich hatte sie dreieinhalb Sekunden hinter mir und Mohamed und Mohamed – viele Mohameds kennt die Stadt – umzingelten mich. Radny stieß dazu. Wir erreichten den Ausgang und hatten uns inzwischen verdoppelt. Acht der achttausend Taxifahrer Kairos auf der Jagd nach Beute. Mohamed II. sagte einen vernünftigen Preis, zielsicher zogen wir Richtung rostiger Fiat.
Zu meinem Hotel war es noch weit. Wir saßen bereits, da sprang Mohamed II. wild entschlossen von seinem Fahrersitz und rannte auf einen Mann zu, der sich ebenfalls wild entschlossen näherte. Und Tonnen von heißen Worten schütteten sie aufeinander, schrien, deuteten schreiend auf mich. Wahrscheinlich hatte der falsche Mann die Beute abgeschleppt.
Augenblicklich waren wir in Arabien und die hitzigen Reden würden für längere Zeit nicht versiegen. So lud ich den Rucksack auf und schlich davon. Mit Glück, denn auf halbem Weg zurück schenkte mir Allah einen dritten Mohamed. Wir huschten zu seinem Wagen und preschten los.
Ankunft im Hotel. Wir zogen zu fünft in mein Zimmer. Einer öffnete die Lifttür, der andere schloss sie, der Dritte trug meine Tasche, der Vierte den Zimmerschlüssel. Als sie den Raum verlassen hatten, wusste ich bereits, dass meine Trinkgelder den vier und ihren siebenundvierzig Familienangehörigen zugute kommen würden. Einem Sack Schuldgefühle, auch dem entkam vor Ort kein Reisender.
Ich wollte telefonieren, die Leitung wackelte, ich kam nicht durch, eine Stimme sagte forsch: »Please, replace the telephone.« Unheimlicher Orient, ich sollte das Telefon ersetzen. Ein paar Gedankensprünge später ahnte ich, was gemeint war: Leg den Hörer wieder auf! Auch das gab es, Sprache, die nichts klärte, nur neue Mühsal anhäufte. Vom Stress, ein wackelfreies Telefon zu finden, nicht zu reden.
Um fünf Uhr morgens wurde ich zu Allah gerufen, der Muezzin bohrte sich in meinen Schlaf. Wie neunundneunzig Prozent aller anderen Schläfer war ich um diese Zeit noch nicht fähig, um die Vergebung meiner Sünden zu bitten. So wurde ich von den Hunden bestraft, die bellend dem Muezzin antworteten.
Beim Frühstück beschloss ich, mich vom modernen Kairo ins uralte zu retten. Das hieß, den Midan Ataba-Platz überqueren zu müssen, die Schnittstelle. Die hörte sich um zehn Uhr morgens so an: Die Flüche der Taxifahrer über die Fußgänger. Die Flüche der Fußgänger über die Taxifahrer. Die Schreie der Polizei, die ambulante Händler verjagte. Die Schreie der Verjagten. Die Schreie der Zutreiber, die Kunden in Busse trieben. Die Presslufthämmer der pyramidalen Baustelle mittendrin. Die Sirenen der Polizeiautos, die Sirenen der Krankenwagen. Das Krächzen eines Taubstummen. Die Gasmänner, die auf ihre Gasflaschen trommelten. Der Schrotthändler, der »bekia«, Schrott, brüllte. Die frenetischen Musiklawinen, die aus den Geschäften fauchten und wie Flammenwerfer den vorbeieilenden Passanten heimsuchten. Die Hupkonzerte der Hochzeiter und die Hupkonzerte all jener, die den schönsten Tag ihres Lebens schon hinter sich hatten.
Selim fiel mir ein, Ägypter, Freund und verzweifelter Hauptstadtbewohner. »Kennst du die Mutter aller Probleme?«, fragte er. »Du kennst
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