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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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unsrige.
    Ich war allein. Einfacher konnte man es nicht sagen. Ich wollte nach keiner Sprache suchen, um diesen banalen, folgenschweren Satz auszuhalten. Meistens gab ich in diesem Augenblick auf. Übelkeit kam, das Verlangen, mich zu erbrechen. Manche haben sich mitten in einem Zenkloster umgebracht, überwältigt und niedergeschmettert von dieser Erkenntnis. Ich bin kein Selbstmörder, aber ich wollte mich nicht überfordern. Ich brach die Meditation ab und war schlagartig erleichtert. Die Einsamkeit konnte warten, zumindest bis morgen. Dann würde ich wieder sitzen und mich wieder an sie heranschleichen. Vielleicht kam der Tag (vielleicht kam er nicht), an dem ich mehr wagte, mich ganz hinunterwagte. Dort – wo immer das war – würde man, so hieß es, etwas begreifen: dass Loslassen heilt, eben das Loslassen der Beklemmung vor dem Alleinsein, vor dem Vergehen. Wieder Sprüche.
    Andere Tage waren anders. Da saß ich wieder unter den zwanzig Mönchen und die dunkelschwarzen Wörter traten nicht auf. Obwohl es unheimlich still war. Dafür breitete sich eine euphorische Leichtsinnigkeit in mir aus. Dann kicherte ich bisweilen fröhlich vor mich hin. Alles Überflüssige ließ ich los. Mein Allerweltsherz hob ab. Ich glitt. Ich entschlackte. Ich wurde übersichtlicher. Auch meine Gedanken, die Bedürfnisse, die Ziele. Ich sah das Glück, das ich hatte, und ich sah, wie beharrlich ich mich weigerte, es als Teil meines Lebens zu akzeptieren. Hörte ich dann das Schlagen der Hölzer, war ich mit unwiderruflicher Heiterkeit ausgerüstet für den Tag. Dann akzeptierte ich auch, dass meine Begabung zum Weisen, zum Weisesein, nicht reichte. Nie würde ich den Tod akzeptieren, immer würde er mein Todfeind bleiben. Aber das Leichte, das Heitere, sie konnten begeistern, sie wollte ich lernen. Ein wenig davon, wenn irgend möglich. Als federleichte Waffe gegen die Schwermut.
    Hier die zweite Episode, auch sie hatte mit Stille, ja Totenstille zu tun. Und erstaunlicherweise kamen nichts als Glücksgefühle über mich. Bei meinem letzten Besuch in Asien bin ich in einen Samadhi-Tank gestiegen. Ein pompöser Name – samadhi = höchste Erleuchtung – für eine Vorrichtung, die wie ein schwarzer Sarkophag aussah, über zwei Meter lang, je einen Meter hoch und breit. Am Boden des Containers befand sich eine 37 Grad warme, zwanzigprozentige Salzwasserlösung, dick wie das Tote Meer. Und darauf schwebte man, schaukelte man, in völliger Dunkelheit, in völliger Lautlosigkeit, ohne Anstrengung. Nur daliegen, nur sein.
    Nach den zwei Stunden wollte ich nicht mehr zurück, nicht mehr nach draußen, zu den Schrillen, zum nervigen Blabla, dem Gedröhn des Blödsinns. Aber ich musste. Obwohl ich um keinen Wassertropfen erleuchteter war, im Gegenteil, ich war durch die extreme Geräuschlosigkeit nur verletzbarer, ja unheimlich hellhörig. Der ganze Leib schien nichts als Empfindung. So blieb ich den Rest des Nachmittags im Haus, im Garten. Wie es empfohlen wurde. Ruhen, bis sich der Körper wieder an die Welt gewöhnt hatte.
    Der Tag war eine wunderliche Erfahrung, herzenstief und weit weg. Weil man einmal mehr begriffen hatte, was fehlte. Hundsgemein fehlte. Eben Stille.

    ZU FUSS
    Der Schriftsteller und Pilot Saint-Exupéry (»Der kleine Prinz«) musste wieder einmal bruchlanden. Irgendwo in der algerischen Wüste. Noch am selben Abend kam eine Karawane Touaregs vorbei, rein zufällig. Sie kochten Tee und der Franzose reparierte den Motor. Und sie plauderten. Der Bruchpilot: »Schaut euch mal diesen Vogel an, mit dem schaffe ich in zwei Stunden, wofür ihr zwei Wochen braucht.« Die Männer schwiegen beeindruckt, bis einer sich erhob und scheu fragte: »Ja, aber was machst du mit der übrigen Zeit?«
    Das ist wunderbar weise. Bedenkt man die Millionen Vollgas-Rambos, die täglich von A nach B rasen, um hinterher – wieder täglich laut Statistik – knapp vier Stunden vor der Glotze als Faultier zu verwittern, scheint die Frage augenblicklich noch weiser als vor achtzig Jahren. Wie sagen sie in Kuba? »Es gibt mehr Zeit als Leben.« Denn so viel Zeit wird verhockt, verdämmert, verträumt und nie und nimmer gelebt.
    Ich hatte Glück (mal abgesehen von der Gnade, weder Auto noch Fernseher zu besitzen), ich saß in meinem Pariser Café und blätterte in einer Illustrierten. Auf einer Doppelseite Werbung sah ich einen Mann vor der Glaswand eines Schaufensters stehen. Hingebungsvoll betrachtete er einen funkelnden Sechszylinder, Text

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