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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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sie nicht, sie ist die Sehnsucht der Menschheit nach Krach.«
    In einer dämmrigen Seitengasse der Kasbah fand ich Hosni. Die Adresse hatte ich vom Rezeptionisten meines Hotels bekommen. Hosni gehörte nicht zur Menschheit, er war vom Himmel gefallen. In seinem Kräuterladen herrschte Stille. Ich wollte ein Kraut gegen meine Rückenschmerzen. Während er die Tinkturen mischte, fing der Mann zu reden an. Ein begnadeter Einluller. Wie warme Hände legten sich seine Worte auf mein Kreuz. Ich begriff, dass Sprache, wenn sie nur die richtige Temperatur, die richtige Schwingung bekommt, ohne den leisesten Widerstand ins Körperinnere gleitet. Hosni sprach und dennoch herrschte absolute Ruhe im Raum. Das Absurde war, dass ich kein einziges seiner Wörter verstand. Wie belanglos. Denn was mich heilte, war kein Sinn und kein Gedanke, war einzig die plötzliche Erinnerung an ferne Kindertage, an denen ich im Bett lag und Märchen hörte. Und wegtauchte in alles versprechende Träume.

    DENKMAL FÜR MEUCHLER
    Hier kommt eine Zumutung, sie klingt so: »Auch wenn man keinen Durst hat, sollte man hier dauernd trinken, sonst dörrt die Trockenheit den Körper aus, ohne dass man es bemerkt.« Mit einer solchen Keule begann eine Reportage über das Tote Meer, in einer bekannten deutschen Zeitung. Wer als Leser den Satz bis zum Ende schaffte, bereute nur eins: das Überleben des Schreibers. Wie wahr, es verdursten immer die Falschen.
    Reden wir hier nicht vom Zauber des ersten Satzes . Der Bericht ging weiter, wie die Anfangszeilen befürchten ließen: dass der Journalist vor Jahren die Anmeldefrist zur Metzgerlehre versäumt hatte und sich deshalb kurz entschlossen bereit erklärte, in Zukunft seine Muttersprache kleinzuhacken. Mit Wurstfingern, mit Messerstechen, mit der festen Absicht, kein gutes Haar an ihr zu lassen. Der Glückspilz. Hätte er bei Steven Brille unter Vertrag gestanden, sein Skript wäre nicht veröffentlicht worden. Denn Steven B. war ein rabiater Kollege, der amerikanische Ex-Chefredakteur von Brill’s Content hatte die gemeine Angewohnheit, an den Rand eines lausig geschriebenen Textes eine schlichte Frage hinzukritzeln: »Schon mal an Selbstmord gedacht?«
    Rückblende: Klausjürgen Wussow (noch fern jeder Schwarzwaldklinik) und ich (direkt von der Schauspielschule) standen hinter der Bühne des Münchner Residenztheaters und warteten auf unseren Auftritt. Verschämt traute ich mich den Meister zu fragen: »Sagen Sie, wie spielt man tolles Theater?« Und Wussow, kurz und grimmig: »Sie können alles spielen, nur stimmen muss es.«
    Eine solche Antwort gilt auch fürs Schreiben. Keine festen Regeln, alles ist erlaubt, aber Vehemenz muss es haben, Rhythmus, den Swing. Muss den Leser zum Stillsitzen verführen, zum Mitdenken, zur hemmungslosen Freude an Sprache.
    Dieser »Anschlag« verfolgt nur ein Ziel: jenen das Schreiben auszutreiben, die es nicht lieben. Und nicht können. Die glauben, sie kämen linkshändig davon. Für sie, die Grobschlächtigen, die Faulpelzigen und Talentfreien, sollte man amnesty international-paper gründen. Wird doch, nach der Menschenhaut, nichts so sehr geschunden wie ein Blatt Papier. ai-p würde die gespendeten Gelder in die Anschaffung von Keuschheits-Handschuhen für Triebschreiber investieren. Oder Umschulungen finanzieren, sprich, die Satzschieber und Wortbrecher abrichten für jene Berufe, in denen sie begabter mit ihren Kräften berserkern könnten. Als Metzger eben. Oder Pornostar. Oder Bomberpilot. So wäre für uns alle gesorgt, eingedenk der letzten Wahrheit von Georg Christoph Lichtenberg, dass »die wichtigsten Dinge durch Röhren erledigt werden, siehe das Schießgewehr, den Schreibgriffel und den Penis«.

    VOM GLÜCK, EIN LEKTOR ZU SEIN
    Hier kommt eine Hymne. Auf das Schöne einer wunderlichen Tätigkeit. Vor ein paar Tagen stand ich in einem McDonald’s (okay, ich geb’s zu) und dachte an meinen Lektor. Weil ich einem jungen Mann zuschaute, der einen McJob ausübte. Einen Job, der fünf Minuten Lehrzeit verlangt, fünf Dollar die Stunde bringt und nichts anderes fordert, als alle fünf Sekunden eine fade Fleischsemmel in eine Tüte zu packen. Gleich drei Phänomene kamen mir in den Sinn. Die Ungerechtigkeit der Welt. Mein Lektor. Das Glück meines Lektors.
    Schon der Ursprung seines Berufs klingt märchenhaft: Von lateinisch »lector« – Leser. Und das wiederum von »legere«: auflesen, einsammeln. Gräbt einer weiter, findet er andere magische Wörter, die

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