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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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die aus drei Himmelsrichtungen vorbeiziehenden Geruchsschwaden inhalieren. Ist das schön? Ist das der Sinn des Lebens?
    Pharaonen ließen schwachsinnige Architekten lebendig einmauern. Im konkreten Fall sollte man sie an die Fliesenwände ihrer Latrinen ketten, mit zwangsgespreizten Nasenlöchern und einer ungehinderten Aussicht auf ihr Werk. Und die Unholde erst loslassen, wenn sie dreimal lautstark gerufen haben: »Es lebe die Würde des Menschen!«
    Nun, gibt es ihn, den Ort, wo ich bleiben darf und in Freude defäkieren? Wo jedes Häuflein als frohe Botschaft gilt? Wo eine hell leuchtende Schüssel als Inbegriff selig machender Zufriedenheit auftaucht? Halt ein, Leser, ja, Leser: Es gibt ihn! Den einen , den Lieblingsstuhl. Es klingt anmaßend, aber er steht in meiner Wohnung. Schon der schmale Gang, der auf ihn zuführt, verbreitet Atmosphäre, macht mild und öffnet, entschlackt und versöhnt. »Stilles Örtchen«, jubelt jeder Privilegierte, der hier eintritt, eintreten darf. Denn nun stimmen Sprache und Wirklichkeit überein, nun herrscht Friede auf Erden. Ich schwöre, Haufen über Haufen landeten hier bereits. Wie Beweisstücke eines gelungenen Lebens. So soll es denn bis zum Jüngsten Tag schallen: Dieser Stuhl ist wie kein anderer dazu geeignet, sich darauf zu setzen. Mit Demut, mit Respekt, mit purer Scheiße.

    CRAZY LOVE
    Drei Uhr morgens Ankunft in New Delhi. Da ich seit Jahrzehnten in dieses Land närrisch verliebt war, hörte ich sogleich beim Verlassen der Ankunftshalle die Vögel zwitschern und roch die Glücksluft, die hier umging. Mit dem Taxi zu einem Hotel am Connaught Place. Und wieder holte die Magie des Landes aus, jetzt die schwarze. Der Rezeptionist wollte das Doppelte für die Nacht. Ich dachte, ich bekäme einen Rabatt, weil das Zimmer ja nur ein Drittel der Zeit benutzt würde. Nein, das Doppelte. Das Erstaunliche beim Reisen in diesem Land: Irgendwann lernte man mit dem Geheimnis zu leben, nahm es hin, wollte ihm nicht mehr auf die Spur kommen.
    Am nächsten Morgen lagen ein Baby und seine Mutter auf den Treppen der Pension, dösten. Vor der Haustür schwitzte die Stadt bei 43,7 Grad. Ein tornadoartiger Lärmpegel schindete. Ein Busfahrer feuerte seine Hupe ab, hundert andere Hupenbesitzer feuerten hinterher. Vier Kinder schleppten schwere Bleche. Ein fünftes Kind fummelte an seinem letzten Abszess. Ein sechstes maulte »fuck off«, als weitere Spenden meinerseits ausblieben. Drei Taxifahrer winkten. Ein Krüppel robbte auf mich zu und berührte meine Füße. Drei wollten meine Schuhe putzen. Einer dämmerte mit Gipsbein in der Sonne. Einer streckte mir seine einzige Einnahmequelle entgegen, seine blinden Augen. Ein dünner Alter stellte sich in den Weg, zeigte auf einen Spatzen und verführte zu folgendem, rätselhaftem Gespräch:
    – Bird, Mister!
    – I see, but what’s the name of the bird?
    – Special bird, Mister, please, baksheesh, Mister.
    Liebe ist ungerecht. Wer Indien liebt, der wird alle Widersprüche dieser Zuneigung erfahren. Denn ebenso viele Gründe existieren, um das Land mit Inbrunst zur Hölle zu jagen. Denn auch der zu Mitgefühl wenig begabte Zeitgenosse wird sich rühren lassen von dem in alle vier Himmelsrichtungen stinkenden Elend. Aber – und so reden die Verliebten – der Anteil an Leichtigkeit, an Zauber und aberwitzigen Einsichten, dieser Anteil ist größer als irgendwo sonst im Universum. Wer diesen Satz nicht verstehen will, wird ihn als zynisch empfinden. Er ist es nicht.
    Mancher Reisende mag denken: Beim nächsten Besuch gibt es Indien nicht mehr. Dann ist es verschwunden, zerbrochen in tausend Teile, verloren im Abgrund, im Loch der Unterwelt. Aber nein, es steht noch immer. So war es, so ist es, so wird es sein. Indien lässt sich nicht renovieren. Wer es aufräumen will, schafft es ab. Die zehrenden Angriffe auf unsere fünf Quadratmeter Haut sind der Eintrittspreis für die Magie. Ohne diese Zumutungen kommt keiner ihr nah. Indien ist teuer. Alles, was es vom Reisenden fordert, ist alles.

    DAS ENDE EINER GLOTZE
    Eines Morgens wachte ich auf und rief den Sperrmüll an. Als am nächsten Nachmittag drei breitschultrige Männer vorbeikamen, bat ich sie, meine Wohnung auszuräumen. Okay, nicht alles, aber ich deutete auf etwa vier Fünftel meiner Möbel. Verdutzt, aber willig packte das Trio zu und Schränke, Kommoden und Nachtkästchen verschwanden. Vier glückliche Männer gingen nach getaner Arbeit auseinander. Die drei werden den Plunder

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