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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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auf dem Flohmarkt verschleudern und ich bekam für sechs Bierflaschen eine leere Wohnung. Die Klamotten, die Bücher, zwei Teller, zwei Tassen, je zwei Messer und Gabeln behielt ich. Und die Matratze. Und den Fernseher.
    Sicher hatte diese Lust auf weniger Gerümpel mit meinem Aufenthalt in einem japanischen Zenkloster zu tun. Der Jahre zurücklag. Aber mancher Fortschritt (hier stimmt das Wort) benötigt eine lange Inkubationszeit. Jetzt, an diesem Morgen, war der Fortschritt ausgebrochen, jetzt »plötzlich« hatte ich verstanden: dass Horten und Raffen schwer macht, unbeweglich, träge. Ich schloss die Tür hinter den Breitschultrigen und war leichter.
    Der Höhepunkt meiner materiellen Keuschheit war noch nicht gekommen, er kam an einem Donnerstagabend, im Januar 1991. Und das Glücksgefühl war so berauschend, dass ich noch heute davon zehre. Was passiert war? Ich sah fern, CNN, »the world’s news leader«, berichtete live vom so genannten ersten Irakkrieg. Amerikanische Raketen hagelten auf Bagdad und CNN-Reporter Peter Arnett stand auf einem Balkon des Al-Rashid-Hotels und erklärte der Welt den Krieg. Im altbewährten CNN-Lieschen-Müller-Format, sprich, Saddam, der Böse, der Ruchlose, gegen Bush-Vater, den Guten, den Fleckenlosen. Keine Hintergründe, keine Zusammenhänge, no story behind the story, eher die letzte Pressemitteilung aus dem Pentagon. Dazu kam die sauber erstunkene Falschmeldung, dass CNN die einzige westliche Nachrichtenquelle in der irakischen Hauptstadt wäre. Witzigerweise fiel mir ein Aphorismus von Woody Allen ein:
    – Sag, Woody, hast du Krieg und Frieden von Tolstoi gelesen?
    – Hab’ ich, natürlich.
    – Und um was geht’s da, Woody?
    – Dämliche Frage, um Krieg und Frieden, was sonst?
    Nach Woody kam der Höhepunkt, jetzt kam er, jetzt wuchsen mir Kräfte zu, die ich so lange vermisst hatte. Mitten im Bombenhagel verließ ich mein Arbeitszimmer, stieg die drei Stockwerke hinunter, öffnete im Hinterhof den Deckel der Mülltonne, ging wieder nach oben, stöpselte den Kasten und Peter Arnett aus und schleuderte beide zielgenau vom Balkon in den Ascheneimer. Das berstende Klirren kurz vor Mitternacht klang wie ein Siegesschrei. Die Glotze war weg! Und der Infomüll. Seit diesem grandiosen Abend hat nie wieder ein Fernsehgerät eine Wohnung von mir betreten. Lang lebe CNN!

    STILLE UND GOLDENES KALB
    Um den Moloch Bangkok zu verkraften, gehe ich am Tag meiner Ankunft immer in meinen Lieblingstempel Bowonniwet. Dort wohnt mein Lieblings-Buddhist, der strahlende Greis Vorn Varatthito. Diesmal ordinierte er zwei junge Männer. Noch immer beruhigte es die Eltern dieses Landes, wenn die Söhne – früher für drei Monate, heute für mindestens zwei Wochen – von den Botschaften Buddhas hören, eben von Demut, Großmut und dem Wissen, dass keiner einen anderen erlösen kann. Nur jeder sich selbst. Ich fragte die beiden Studenten der Betriebswirtschaft nach dem Grund, sich kurzfristig von der Welt zurückzuziehen. Und Sutta, ernst und ohne Ironie: »Um mich bei meinen Eltern zu bedanken, dass sie mich geboren haben.«
    Nach der Ordination – Blumen, Kerzen und eine Rede des Abts – zog Phra Varatthito seinen beiden Schülern die fünfteilige Robe über, verschlungen kompliziert und zeitintensiv. Nicht einen Augenblick ließ der alte Mönch in seiner Konzentration nach, fürsorglich wie ein Vater kleidete er sie ein.
    In einem Nebentempel lagen die Geschenke, für jeden der insgesamt zweiunddreißig Novizen wartete ein Quadratmeter vollgestellt mit Zahnpasten, Zahnbürsten, Seifen, Waschpulver, Tee, Medizin, zwei Paar Slippern, einer Robe, einer Matte, Obst. Irgendwie musste man die Halbwüchsigen dazu verlocken, sich an einen stillen Ort zu trauen. Denn Zweiundzwanzigjährige haben normalerweise andere Triebe als das brennende Verlangen nach Versenkung und Kontemplation.
    Am Ende der Zeremonie führte mich Vorn Varatthito in einen kleinen Raum. Hier könnte ich »sitzen«. Er wusste, was ich brauchte. Ich wollte meditieren, den Geist, den Kopf, das ewig schwatzhafte Hirn anhalten. Damit es nicht davonrennt, damit es stillsteht. Wollte wieder einmal die schwierigste Kunst üben, die Kunst, im Augenblick zu sein. Bin ich in Topform, schaffe ich ein paar Momente ununterbrochener Aufmerksamkeit.
    Ich saß fünf Minuten und musste plötzlich laut lachen. Das Hirn driftete, natürlich, leider. Aber lachen heilt auch. Ein Foto zog durch meinen Kopf, das ich vor Tagen in einer Zeitung

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