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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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noch von dem schmalen Raum, der im Englischen sinnigerweise »restroom« heißt. Da, wo man rasten, ausrasten darf. Da, wo Stille herrscht und Diskretion. Da, wo die Mühseligen und Beladenen Einkehr finden. Da, wo es gelingt, die von Sorge und Kummer verriegelten Schließmuskeln zu beschwichtigen. Da, wo der Satz von Freud nichts als ewige Wahrheit bedeutet: »Jede Abgabe von Materie ist Lustgewinn.« Um ein Haar hätte ich geheult. So schön war es, so ergriffen war ich davon. Der tägliche Stuhl – jedem von uns heilig und unverzichtbar – und die tägliche Scheiße, sie sind Begriffe eines Namens.
    Das war nicht immer so, ja fast nie so. Ich könnte einen Reiseführer der unsäglichsten Abtritte des Globus schreiben. Ohne auf den fünfhundert Seiten den Kongo und Hinterindien erwähnen zu müssen. Nur Unsäglichkeiten aus der Ersten Welt kämen vor. Denn selbst bei uns scheint es nicht einfach, vergnüglich sein Geschäft zu verrichten. Wie schwierig doch, eine Stätte zu finden, wo sich genug Vertrautheit einstellt, um für den bloß gelegten und zur rückhaltlosen Beichte bereiten Hintern eine Umgebung zu schaffen, die allen Ansprüchen an Verschwiegenheit und Takt entspricht.
    Der Gang hin zum Stuhl, der Stuhlgang. Schon hier beginnen die Kümmernisse. Wie problematisch oft, den plötzlich heftig drängenden Unterleib seiner Erlösung, seiner Absolution zuzuführen. Hier ein paar Kostproben aus einem Scheißleben, die deutlich aufdecken, wo die Krux liegt.
    Tatort Paris, Wohnungssuche. Die Toilette im Zwischenstock meines Hotels war entschieden zu eng. Um mich bequem auf der Brille niederzulassen, hätte ich meine Waden ins Treppenhaus strecken müssen. Ich probierte mehrere Stellungen in diesem unheiligen Null-Null. Ohne Erfolg. Nur mit den ausgelagerten Füßen hätte ich gekonnt. Aber dann roch es. Der besorgte Portier erkannte die Not und wies den Weg zum Square Boucicaut . Dort stünde die nächste öffentliche Bedürfnisanstalt. Ich hetzte auf das dunkelbraune Häuschen zu, warf einen Euro ein und durfte hinein. Selig richtete ich mich ein im Glück, geruchlos, sauber, Musik rieselte, ich schlug die Zeitung auf und wollte loslassen. Von wegen, nach fünfzehn Minuten ging die Tür auf, automatisch. Und vor mir Paris bei Tag. Ich sprang hoch, halbnackt, halbfertig, nie und nimmer präsentabel. Ruhe und Eintracht? Dass ich nicht lache. Ein Schleudersitz.
    Nicht einmal die Franzosen wissen noch, dass »comment allez-vous?« – wie geht es Ihnen? – früher einmal lautete: »Comment allez-vous à la selle?«, wie geht es Ihnen bei der Notdurft? Soll sagen, nichts verrät mehr über die Gesundheit eines Zeitgenossen als seine Verdauung und die problemfreie Ausscheidung.
    Auch Casablanca war ein Fehlschlag. Die Stadt, in der ich um elf Uhr nachts nach einem Glas vergifteten(?) Tomatensafts über den Place Mohammed V. ins Hyatt Regency stürzte, um auf einem Fünf-Sterne-Lokus meinen sprudelnden Mageninhalt hinauszuprusten. Nun, auch das waren nicht die Laute von Sitte und Eintracht, nicht die rechte Einstimmung für Traulichkeit und Ankommen.
    Und sonst auf der Welt? Mal schwerer, mal unbeschwerter. Und einmal, ein einziges Mal, überwältigend. Glaubte ich. Damals in San Francisco, als ich aus meiner desolaten Unterkunft ins exklusive Fairmont Hotel schlich, mir ein Klomann den Weg in die Kabine wies, gar die Tür öffnete. Und ich stockte. Denn der Mann wartete, direkt davor. Hatte er doch den Auftrag, dem Hotelgast sogleich hinterher zur Verfügung zu stehen, ihm den Wasserhahn aufzudrehen, die Seife zu reichen, das Handtuch bereitzulegen. Aber so viel Fürsorge bremste, wirkte geradezu hemmend auf das freie Spiel der Kräfte. Eine glatte impotencia faecalis war die Folge. Mit Schweiß auf der Stirn und unverrichteter Dinge verließ ich den goldenen Käfig. Sahen so Sieger aus, so die Schwerelosen?
    »Wo immer du gehst, dein Hintern ist stets hinter dir«, soll Sokrates gesagt haben. Als kleinen philosophischen Merksatz, um daran zu erinnern, dass wir unseren Nöten nicht entkommen. Weltweit nicht. Siehe den Zwischenstopp in Atlanta, USA. Auf den Flughafen-Aborten konnte man (unten) die Waden seiner Sitznachbarn studieren, da nur windige, viel zu kurze Sperrholzplatten trennten. Und (oben) musste man den Kopf einziehen, um nicht bei seinen intimsten Handlungen beobachtet zu werden, ja musste die plumpsige Geräuschkulisse verkraften, die ein Dutzend Personen gerade produzierte. Und durfte, alles umsonst,

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