Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
Stimme ließ sich erkennen, dass sie diese Stellung mehr genoss als alle anderen. Dann stürmte sie herein und warf die Moorbatzen auf meinen Körper. Wobei sie dreizackig grinste und nicht einen Quadratzentimeter ausließ. Eine erste Kraft, kein Zweifel. Dann wickelte sie mich ein und stellte den Wecker.
Während der zwanzig Minuten »Ruhezeit« schellten sieben Wecker, der letzte war der meine. Erschöpft wankte ich unter die Dusche. Roswitha hatte inzwischen einen Zettel dagelassen: »Um 15.30 Uhr bei Frau Gerda, Spezialmassage!« Spezialmassage ist ein vielstimmiges Wort. Es lädt zu den geheimnisvollsten Hintergedanken ein.
Die Masseurin wollte mich nicht nackt sehen, ich durfte mit der Unterhose auf die Liege, auf den Bauch. Wobei sie meinen Kopf nahm und ins eigens dafür vorgesehene Nasenloch steckte. Dann griff sie zu. Mein Rundrücken störte sie, »der muss weg«. Während sie ihn beseitigte, erzählte sie mir von den glücklosen Männern und Frauen, die vor mir hier gelegen hatten. Männer mit Elefantenfüßen, Frauen ohne Brüste, Verkehrsopfer, Krebsopfer, Gewaltopfer, alle »spezial massiert« von Gerda.
Am Ende der drei Tage im schönen Bad G. war ich kaputt, mit gestauchtem Skelett machte ich mich davon. Auf der langen Heimreise fiel mir Baba Rajiv im fernen Indien ein. Neben dem Straßengraben hatte er seinen Body Shop aufgebaut. Da hinein legte ich mich einst. Um erst Stunden später wieder das Bewusstsein zu erlangen. Denn in einen Rausch von Schlaf und Wonne hatte der Alte mich massiert. Auf Bananenblättern, weckerlos und ohne Nasenloch. Dafür mit Vogelgezwitscher und dem seligen Summen eines glücklichen Menschen.
EIN ZAHNLOSER HELD UND EIN NACKTER HEILIGER
Wenn immer ich in New Delhi bin, besuche ich den Zahnlosen. Der Mann sieht aus wie Gandhi und hat ein ähnlich wundersam gütiges Herz. Seit langem aller Welt Freund. Nicht Hindu, nicht Moslem, nicht Sikh, Mahabir ist Jaina, Anhänger des Jainismus. Sehr beeinflusst von Buddha, aber noch viel radikaler, viel sanfter.
Wie immer führte er mich auch diesmal zuerst zum Waschbecken. Wobei er hurtig noch eine Ameise wegschaffte, denn ohne ihren Tod sollte das Reinigen meiner Hände vonstatten gehen. Auf dem Weg in sein Zimmer fuhr er mit einem federleichten Wedel über den Boden. Auf dass kein Insekt zertreten würde.
Mahabir stand noch immer auf Kriegsfuß mit den Fleischfressern und Rauchern, initiierte seit Jahrzehnten »anti-smoking-campaigns«, zeigte gräuliche Fotos tabakgenussentstellter Gesichter, zog ein Buch hervor, in das alle Vorbeikommenden hinein schwören mussten, nie wieder eine Zigarette anzuzünden. Auch ich leistete einen Meineid, gelobte schriftlich, für immer Vegetarier und Nichtraucher zu bleiben. Und aller lebenden Kreatur mit Respekt zu begegnen.
Das schön Absurde: Die ganze Familie – das Haus beherbergte ein halbes Hundert Computer und Telefone – war »Member of the National Stock Exchange«. Wie schon der Großvater. Auf drei Stockwerken wurden Aktien gekauft und abgestoßen. Seit Jahrzehnten.
Diesmal gab es eine Überraschung. Wir gingen zu Amit Sagar, nur ein paar Ecken weiter. »Mein Guru, mein Heiliger«, erklärte Mahabir. Wir betraten einen großen Raum und der Heilige – im straffsten Mannesalter – saß selig entspannt, sehr konzentriert und splitterfasernackt auf einer Holzpritsche. Und um ihn herum kauerten indische Bürger, Frauen und Männer, völlig normal gekleidet. »Darshan« fand statt, die einen fragten und der Nackte antwortete. Fragen zum ganz konkreten Leben. Beim Abschied berührten alle die Füße des Gurus.
Aber heute war eine Ausnahme, Mahabir hatte einen Gast mitgebracht, jetzt musste unbedingt ein Foto gemacht werden. So wurde ein Mann mit einer Kamera aus der Nachbarschaft geholt und Amit Sagar und drei andere Splitternackte, Schüler des Meisters, stellten sich auf (ohne den leisesten Versuch, etwas zu verbergen), wir stellten uns dazu, puff, das Blitzlicht zündete, jeder schien voller Seligkeit.
Ende der Audienz, die einen gingen nach Hause, der Guru blieb da, meditierte, sang, schlief, hatte die einzige Mahlzeit des Tages schon viele Stunden hinter sich. Morgen würde er die ziemlich gleichen Fragen hören und die ziemlich gleiche Antwort geben: Loslassen, die Ursünde Gier überwinden, das Ego schleifen.
DER HEILIGE STUHL
Erleichtert verließ ich Wien. Von der blitzsauberen Toilette in Schwechat stieg ich direkt ins Flugzeug. Ich schwebte, so ergriffen war ich
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