Süchtig
auf neuere Erfolge und die Unternehmen, auf die er gesetzt hatte. Aber seit Annies Tod hatte sich das Blatt in gewisser Weise gewendet. Die Milliarden-Dollar-Deals des Dotcom-Booms gehörten der Vergangenheit an. Kindle bekam nicht mehr die gewohnte Aufmerksamkeit. Obwohl er nach wie vor Start-up-Unternehmen der Hightech-Industrie
finanzierte und Börsengänge vorbereitete, war er nicht mehr der Held, dessen Bild auf der Titelseite von Business Week prangte. Nicht völlig vergessen, nur in den Hintergrund getreten.
Bei dem letzten auf der Site eingestellten Bericht ging es um seine Beziehung zu Ed Gaverson, der einmal zu den finanzstärksten Amerikanern überhaupt gehört hatte. In den letzten Jahren hatte Gaverson jedoch schwer zu kämpfen gehabt. Seine Firma Ditsoft hatte die Nachfrage nach der von ihr vertriebenen Software völlig falsch eingeschätzt, was zu einem Einbruch des Aktienkurses um neunzig Prozent über die letzten Jahre geführt hatte. Der ursprünglich in U.S. News & World Report erschienene Artikel pries Kindles und Gaversons neuestes Projekt in den höchsten Tönen: Die beiden bastelten an einem Konsortium aus Technologiefirmen und Telekom-Gesellschaften, zu denen die Anbieter von Suchmaschinen, Kabel- und Telefondiensten zählten, mit dem sie eine hundertprozentige Internetabdeckung erreichen wollten. In gewohnt bescheidener Manier sprachen sie von einer bahnbrechenden Idee.
Glenn Kindle und Ed Gaverson haben Millionen mit Computern und Software-Programmen verdient. Warum wollen sie ihre Technologie plötzlich verschenken?
Kindle, ein Risikokapitalanleger, der sein Vermögen mit dem Dotcom-Boom gemacht hat, und Gaverson, der umtriebige Gründer von Ditsoft, sind gute Freunde – und im Geschäftsleben gelegentlich Konkurrenten – mit einer innovativen Idee. Sie glauben, dass Geräte wie Computer, Mobiltelefone und Pocket-PCs
in nicht allzu ferner Zukunft kostenlos sein werden. Das soll auch für den Internetzugang gelten, der diese Geräte miteinander verbindet.
Die beiden sind davon überzeugt, dass ein staatlich subventionierter oder werbefinanzierter Ausbau der Internet-Infrastruktur mit weitreichender Automatisierung aller Lebensbereiche und Bereitstellung kostengünstiger Geräte in den USA zu einer Produktivitätssteigerung führen würde. Gemeinsam mit einflussreichen Verbündeten aus der Wirtschaft ist es ihnen gelungen, in Washington Interesse für die Tatsache zu wecken, dass Amerika bei der Verbreitung von Hochgeschwindigkeits-Internetanschlüssen weltweit nur an achter Stelle steht, was die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährden könnte.
Natürlich handeln Kindle und Co. nicht aus reiner Nächstenliebe. Sie setzen darauf, dass die Verbraucher mit ihren neuen Geräten im Internet Waren und Dienstleistungen einkaufen, Videospiele und Musik herunterladen oder beim Surfen Werbung sehen.
Das Motto des Konzepts lautet etwa: »Erst kommunizieren, dann kassieren«.
Kindle selbst bevorzugt eine weniger prosaische Erklärung. »Gebt den Menschen eine Angel, und sie fangen Fische. Wenn wir die notwendigen Kommunikationsmittel zur Verfügung stellen, werden sich Nutzungsmöglichkeiten ergeben, die wir uns heute noch nicht träumen lassen«, sagte er bei einem Vortrag an der Stanford Business School in der ersten Hälfte dieses Jahres.
Zu den Unternehmen, die das Konzept unterstützen, gehören verschiedene große Internet-Suchmaschinen
wie AmericaSearch. Die Firma regt an, in den Innenstädten kostenlos einen drahtlosen Internetzugang anzubieten, der über an den Benutzerstandort angepasste Werbung finanziert werden soll. Unterdessen spielen die Mobilfunkunternehmen mit dem Gedanken, neben Werbe-SMS auch Sprachnachrichten zur Verkaufsförderung einzusetzen.
Dabei drängt sich die Frage auf, inwieweit diese Konzepte wirklich fundiert sind und wie viel davon esoterischer Marketingjargon und Wunschdenken von Firmen ist, die ihre führende Position im Hightech-Business zurückerobern wollen.
Als ich den Link wegklickte, war ich völlig verstört. Ich hasste Glenn Kindle – nicht so sehr ihn selbst als den winzigen Teil von ihm, den auch Annie verkörpert hatte. Ich ballte die Fäuste und stellte mir wieder einmal vor, wie ich ihn an den Füßen über das Geländer der Golden Gate Bridge hängen ließ. Dabei drosch ich rhythmisch auf den Schreibtisch ein.
Mich traf fast der Schlag, allerdings nicht, weil ich so aufgebracht war, sondern weil ich plötzlich eine Hand auf meiner
Weitere Kostenlose Bücher