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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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örtlichen Kabelfernsehfirma fungierte, Austern essen. Sie war zweiunddreißig, aber wichtiger als ihr Alter war unser Blutalkoholgehalt. Während wir über Belanglosigkeiten sprachen, kippten wir einen Drink nach dem anderen. Schließlich landeten wir in ihrer Wohnung.
    Ich hatte überhaupt nicht an Kondome gedacht. Als sie mir das Präservativ aus ihrer Nachttischschublade reichte, überkam mich ein Gefühl der Unausweichlichkeit. Nach dem Akt verschwand sie im Bad, um sich frisch zu machen, und ich wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Annie war seit drei Monaten tot, und ich schmorte im Fegefeuer, während die Tigerkatze irgendeiner Fremden an meinen Füßen schnüffelte. Noch nicht einmal die Socken hatte ich ausgezogen.

    Und so ging es weiter. Ich war wehleidiger, als ich von mir selbst geglaubt hätte. Und voller Wut.
    Schließlich fand ich Trost bei einer Frau, die die Nadel schwang: der guten Fee Samantha.
    Meine erste Begegnung mit ihren außergewöhnlichen Kräften fand sechs Monate nach Annies Tod statt. Bei einer Shiatsu-Massage legte sie an den Druckpunkten meines müden Körpers – Knieinnenseiten, Knöchel,
Taille und Kiefer – Hand an. Ich fühlte einen wahren Energiestoß. Dann griff sie zur Akupunkturnadel.
    Sam wusste, dass ich nichts von New Age hielt. Für mich hatten Massagen auf einer spartanischen Kunststoffliege im Sportklub stattzufinden. Aber sie überzeugte mich. Ihre Behandlungserfolge waren ebenso real wie meine Kenntnisse aus dem Medizinstudium. Die Welt drehte sich langsamer. Mit ihrer Hilfe fand ich eine Ruhe, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
    Wenn sie mich an den Sonntagabenden in die Welt hinaus entließ, störte mich die Stille nicht mehr. Es war in Ordnung, dass Annie nicht da war und auch nie wiederkommen würde. Mein Bild von ihr wurde klarer. Ich sah nun auch die Fehler, die ich angesichts ihres plötzlichen, tragischen Endes nur allzu oft vergessen hatte.
    Meditation, Atemübungen und Akupunktur wurden für mich selbstverständlich. Zum echten Körnerfresser mutierte ich allerdings nicht. Ich blieb ein manchmal vorschneller, vollblütiger Amerikaner, der zwei Tequilas und eine CD mit den größten Hits von U2 für die beste Therapie hielt.

    Sam und Bullseye waren nicht meine einzigen Freunde. Mehr Zeit verbrachte ich mit den Leuten vom YMCA, mit denen ich montags, dienstags und freitags von halb fünf bis sechs Basketball spielte. Fitnessfreaks, die sich für große Sportler und Kommunikationsexperten hielten. Die im Geiste Supermodels verführten und denen die Loyalität untereinander dennoch über alles ging.
    Dann war da noch mein Nachbar Sanjiv Bubar, Manager
von Ant Hill Records. Nicht dass der winzige Laden, der sich auf Rhythm-and-Blues-Alben – und zwar echte Vinylplatten – spezialisiert hatte, einen Manager gebraucht hätte, aber so lautete sein Titel. Musik war übrigens nicht seine größte Leidenschaft. Seine wahre Liebe galt den Modellflugzeugen.
    Wenn im Fernsehen schon lange nur noch Werbung lief, klopfte er nach Klebstoff stinkend an meine Tür und hielt mir ein Modell eines experimentellen Marineflugzeugs unter die Nase, das im Zweiten Weltkrieg nur zwei Einsätze über Prag geflogen war.
    Sanjiv hatte etwas mit den anderen – mit Samantha, Bullseye und den Fitnessfreaks – gemeinsam. Sie hatten einen Platz im Leben gefunden, an dem sie sich häuslich eingerichtet hatten. Sie kämpften nicht, sie besaßen keinen Ehrgeiz. Sie waren mehr oder weniger glücklich damit. Auf jeden Fall urteilten sie nicht – nicht über mich zumindest. Falls sie mit sich selbst ins Gericht gingen, bekam ich nichts davon mit.
    Ganz anders meine früheren Studienkollegen. Ich hielt zwar den Kontakt, aber ich gehörte nicht mehr dazu. Mir fehlte einfach die Energie, mich so einzusetzen, wie sie es taten. Ich brachte es noch nicht einmal fertig, so zu tun.
    Als ich eines Abends spät aus der Past Time Bar nach Hause kam, stand Sanjiv mit ernster Miene vor meiner Wohnung. Jemand hatte die Tür aufgebrochen und die Wohnung ausgeraubt. Der Polizei zufolge gab es in der Gegend eine Einbruchswelle, die auf die zunehmende Abhängigkeit von Methamphetamin zurückzuführen war.
    Meine PlayStation 2, die Mikrowelle, Stereoanlage,
Computer, Monitor und Drucker waren verschwunden. Alles ersetzbar, bis auf meine Arbeit, von der ich keine Sicherungskopien besaß. Die Wohnung war völlig zerstört. Die Polizei meinte, die Einbrecher hätten vermutlich nach

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