Süchtig
Geschichten gern in der Mitte an.
»Im Four Seasons wird der Schlamm auf einer Temperatur von zweiunddreißig Grad gehalten, damit die Mineralien gut in die Haut einziehen. Simon nannte es seinen ›Schlammpanzer‹«, sagte sie. »Im Reden war er immer groß, der verlogene Dreckskerl. Er hat mir erst nach drei Monaten erzählt, dass er verheiratet war.«
Sie hatte ihn kennengelernt, als sie in dem Café anfing. Er kam fast jeden Tag, trank einen Caramel-Latte, schrieb auf seinem Laptop und verfolgte auf einem der Internet-Computer des Cafés die Aktienkurse. Jeder war sein Freund. Er war charmant und ließ diskret durchblicken, wie vermögend er war. Außerdem war er witzig und selbstsicher, und Erin hatte niemanden sonst.
Sie hielten ihre Affäre geheim. Er lud sie nie zu sich nach Hause ein. Ab und zu fuhren sie über das Wochenende ins Napa Valley, wo sie Wein tranken und Schlammbäder nahmen. Später fand sie heraus, dass seine Frau an diesen Wochenenden ihren autistischen Sohn in eine Spezialklinik an der University of California in Los Angeles brachte. Schließlich kam ihm seine Frau auf die Schliche – zumindest behauptete er das -, und er erzählte Erin die Wahrheit. Im Laufe der Zeit fand sie heraus, dass das seine übliche Methode war.
»Er war durch und durch verdorben«, sagte sie.
Kurz danach lernte sie Andy kennen.
Die Beziehung zwischen ihnen war völlig anders als die mit Simon. Erin hatte noch nie eine solche Bindung erlebt.
»Er war der erste Mensch, der mir das Gefühl vermittelte, dass meine Art zu leben in Ordnung war. Als ich Michigan verließ, wusste ich, dass ich jemanden wie ihn finden würde.«
Sie hatten eine Affäre, aber sie war nicht von Dauer und verwandelte sich in eine tiefe, platonische Freundschaft.
»Vor sechs Monaten fing er an, sich zurückzuziehen«, sagte Erin.
Das fiel mit der Zeit zusammen, in der er sich mit Simon anfreundete. Beide sprachen gern über Bücher und die Schriftstellerei. Andy fing an, auf Simons Kinder aufzupassen. Er wünschte sich selbst eine Familie.
»Was hat das mit dir zu tun, Erin? Mir kannst du es ruhig erzählen«, sagte ich in die Pause hinein, die nun eintrat. »Warst du eifersüchtig?«
»Nein.«
»Andy war dein bester Freund. Dann kam es zu Spannungen zwischen euch, und er starb. Verständlich, dass du Simon die Schuld gibst.«
»Du fantasierst.«
»Dann klär mich auf.«
»Du kannst das nicht verstehen«, sagte sie leise. »Simon war unglaublich grausam.«
»Hat er Andy getötet?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wieso hältst du es überhaupt für möglich?«
»Simon war ein Verführer und Manipulator. Er hat Andy das Gehirn gewaschen, bis er Depressionen bekam. Er fühlte sich zerrissen und allein.«
»Und deswegen hat er sich umgebracht.«
»Ich muss dieses Tagebuch sehen«, sagte sie.
Mein Handy klingelte. Es war Danny Weller. Der Empfang war so schlecht, dass ich nur jedes dritte Wort verstand. »Schalten … Nachrichten … Radio … Nachrichten.« Ich sagte ihm, er solle mich zurückrufen, und bat Erin, einen Nachrichtensender zu suchen.
Wir kamen an eine unbefestigte Einfahrt zu einer
Bucht in der Nähe des Piers von Santa Cruz. Von dort aus hatte eine ganze Flottille mit Tauchern nach Annies Leiche gesucht. »Nur Rettungsfahrzeuge« stand auf dem Schild. Ich fuhr in Richtung Strand.
Vielleicht wollte ich so tun, als hätte es die letzten vier Jahre nie gegeben. Vielleicht wollte ich mein Leben vor Annie zurückhaben. Zumindest aber mein Leben, bevor diese quälenden Kopfschmerzen einsetzten. Es mochte an der salzigen Meeresluft liegen, aber ich hatte das Gefühl, mein Gehirn wolle meinen Schädel sprengen. Die Footballspieler, die auf meinem Rücken Schwanensee getanzt hatten, hatten sich offenbar mit Steroiden vollgepumpt. Mein Auge zuckte, und ich hatte Krämpfe in den Beinen.
Erin fand einen Nachrichtensender.
»Bei den Ermittlungen zu dem Anschlag auf ein Café in San Francisco in dieser Woche hat es einen Durchbruch gegeben.«
Ich trat auf die Bremse und legte meine Hand auf Erins, damit sie nicht den Sender wechselte. Die Straße mündete an dieser Stelle in den Strand. Dahinter erstreckte sich das strahlend blaue Meer.
»Das San Francisco Police Department teilt mit, dass in Verbindung mit dem Anschlag, der mindestens fünf Todesopfer gefordert hat, nach zwei Personen gefahndet wird. Es handelt sich um einen Bürger von San Francisco und eine Angestellte des Cafés. Bei beiden handelt es sich um
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