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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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Vorsichtig näherte ich mich einem Käfig mit fünf grauen Ratten, dem zweiten von
unten in seinem Stapel. »A6-A10«, stand auf einem handgeschriebenen Schild.
    Mir wurde übel, und ich zog mir das Hemd über den Mund. Falls hier Krankheitserreger umherschwirrten, atmete ich besser nicht allzu tief ein – obwohl es dafür wahrscheinlich schon zu spät war.
    Aber alles sprach dafür, dass hier keine Krankheit im Spiel war. Die Tiere waren am Hinterkopf rasiert worden. Jeder einzelne Käfig enthielt Nagetierleichen mit zwei kahlen Stellen am Schädel. Bis auf einen. Ein Funkeln stach mir ins Auge. Oben rechts. B4. Schwarzes Fell, allein in einem Käfig. Ein schmales Metallband, das von Schrauben an seinem Platz gehalten wurde, schlang sich um den Kopf der Ratte. Daran waren zwei dünne schwarze Elektrokabel befestigt, die aus dem Käfig hinausführten. Bevor ich sie weiter verfolgen konnte, hörte ich ein Scharren.
    Ich fuhr herum. Wieso hatte ich nicht in der Ecke nachgesehen?
    Ein weiterer Käfig mit einer einzelnen Ratte. Ich ging auf den Plexiglaskasten zu. A11 atmete noch.
    »Es wird alles gut, mein Kleiner«, sagte ich.
    Hatte das Tier die Vergiftung überlebt, oder war es schlicht vergessen worden? Meine ärztlichen Kenntnisse bezogen sich nicht auf Ratten. Außerdem ging es hier nicht um die Rettung von A11. Was war passiert? Folter? Ein Experiment? Beides?
    Ich kehrte zu B4 zurück, der schwarzen Ratte mit dem Stirnband. Im Medizinstudium hatte ich mit Laborratten zu tun gehabt. Das hier sah sehr nach einem Versuch aus: jede Menge Käfige und Tiere, die Daten lieferten. Was für Daten? Und warum?

    »Oh, mein Gott.«
    Das war Erin. Als ich mich nach ihr umdrehte, schlug sie die Hände vor den Mund. In ihren Augen las ich Entsetzen, die plötzlicher Entschlossenheit wich.
    »Nathaniel«, sagte sie, »wir müssen hier raus.«
    Ich sah sie an. Da ich nicht verstand, warum sie es plötzlich so eilig hatte, drehte ich mich um und zerrte an der Käfigtür.
    »Nat. Schnell!«, schrie sie. »Das Haus brennt!«

33
    »Wir werden hier sterben!«
    Da ich nichts sah und roch, was auf einen Brand hindeutete, ließ ich mich nicht beeindrucken. Plötzlich erschütterte ein tiefer Knall das Haus, auf den eine Druckwelle folgte. Irgendetwas im Inneren der Blockhütte war explodiert. Für einen Augenblick wackelte das Haus wie ein Wasserbett. Wir schwankten. Ich stürzte nach links. Der Käfig entglitt mir, und mein Knie schlug auf dem Boden auf.
    Die Hitze hüllte uns ein. Giftige Dämpfe krochen die Treppe herauf.
    »Im Keller«, sagte Erin. »Auf dem Boden neben dem Heizkessel hatte sich Benzin gesammelt.«
    Sie zerrte erneut an meiner Schulter.
    Der Keller. Es klang, als wäre das sehr weit weg. Eine ferne Galaxie zwei Stockwerke unter uns.
    »Ich brauche noch einen Augenblick, bis ich weiß, was hier gespielt wird.«
    »Nein, wir müssen weg.«
    Ich verfolgte die Kabel am Kopf von B4, aber sie führten nirgendwohin, sondern lagen lose auf dem Boden hinter den Käfigen. Allerdings waren sie mit kleinen Etiketten versehen. Das eine Kabel war mit »Stim«
bezeichnet, das andere mit »Welle«. Ich zog an der Tür zu B4s Käfig, versuchte, den Käfig herauszuheben. Dabei stellte ich fest, dass alle Käfige miteinander verbunden waren. Ich brauchte Werkzeug.
    »Verflixt noch mal.«
    »Lass es sein«, brüllte Erin.
    Ich antwortete nicht.
    »Gib mir die Autoschlüssel.«
    »Hilf mir suchen, Erin.«
    »Ich verschwinde hier, und zwar sofort.«
    Erin stand an einem Fenster, von dem aus man den Bereich vor dem Haus überblicken konnte. Sie wirkte fest entschlossen und ein wenig überheblich. Als sie meinem Blick begegnete, drehte sie sich um und starrte aus dem Fenster.
    »Sieh doch!«
    »Was?«
    Sie zeigte auf etwas, das ich nicht sehen konnte.
    »Nat!«
    Aus dem Treppenaufgang schlug mir ein weiterer Schwall heißer Luft entgegen. Ich folgte Erins Blick. Vor dem Fenster züngelten Flammen auf wie ein Quell orangefarbenen Wassers.
    »Ich weiß. Das Ding brennt wie Zunder. Ich brauche deine Hilfe, Erin.«
    »Nein!«
    Nein, nicht wie Zunder? Oder nein, sie wollte mir nicht helfen?
    »Sieh doch! Da fährt ein Auto durch das Tor«, sagte sie. »Bitte komm jetzt. Wir müssen hier raus, und zwar sofort. Wenn du weiter Detektiv spielen willst, gib mir wenigstens die Schlüssel.«

    Ich antwortete nicht. Ich konnte mich einfach nicht von dem Raum losreißen, wollte mich nicht schon wieder von den Ereignissen überrollen lassen. Die ganze

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