Süchtig
Überlebende der Explosion. Die Polizei wollte sich nicht dazu äußern, ob es sich bei den Betreffenden um Verdächtige handelt oder ob sie nur befragt werden sollen. Wir halten Sie über diese bemerkenswerte Entwicklung auf dem Laufenden.«
Zwei potenzielle Verdächtige. Zufällig saßen in meinem Auto ein Bürger von San Francisco und eine Angestellte des Cafés. Sie konnten nur uns meinen.
Ich wusste genau, dass ich das Café nicht in die Luft gesprengt hatte, aber ob das auch der Polizei klar war?
Ein unerträglicher Schmerz. Migräne! Ein Gefühl, als läge mein Gehirn frei und der Wind pfeife durch meinen Schädel. Gerade noch rechtzeitig öffnete ich meine Tür. Dann übergab ich mich.
Als ich mich wieder erholt hatte, sah ich Erin an. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung.
»Hast du?«
»Habe ich was?«, fragte sie zurück. »Was?«
Das Licht schmerzte. Ich kniff die Augen zu.
»Was war in Michigan, Erin? Was war mit dem Brand? Verdammt noch mal, du verschweigst mir doch was!«
Statt einer Antwort öffnete sie ihre Tür, stieg aus und ging davon.
»Erin!«
Aber ich konnte nicht mehr. Ich brachte es nicht fertig, ihr zu folgen. Meine Übelkeit gewann die Oberhand. Ich lehnte mich erneut aus dem Auto und erbrach saure Galle.
Sekunden – oder vielleicht waren es Minuten – später hörte ich ein Geräusch. Im Rückspiegel sah ich Blaulicht. Ich drehte den Kopf, um mir meine Besucher anzusehen. Ein Polizeiwagen stand hinter mir und versperrte mir den Weg.
35
Als der Beamte ausstieg und auf mich zukam, wischte ich mir erst einmal das Kinn ab. Dann überlegte ich, welche Möglichkeiten mir offen standen. Wenn ich den Radionachrichten glauben wollte, wurde ich in Verbindung mit einem Anschlag auf ein gemütliches kleines Café in San Francisco gesucht. Falls der Beamte davon wusste, würde er mich vermutlich verhaften. Das würde mir diesen wunderschönen Tag und möglicherweise auch die nächsten vierzig Jahre verderben.
Also konnte ich entweder lügen oder die Flucht ergreifen. Meine Chancen standen so oder so nicht gut.
»Alles in Ordnung, Sir?«
Sir.
»Die Zufahrt zum Strand ist für die Öffentlichkeit gesperrt«, sagte er, während er sich meiner Fahrertür näherte. »Eigentlich müsste ich fünfundachtzig Dollar Strafe von Ihnen kassieren, aber Sie sehen so aus, als hätten Sie keinen guten Tag.«
Zuerst fielen mir nur der imposante Schnurrbart und die Segelohren auf. Der Beamte war keine ein Meter siebzig groß, aber sein gezwirbelter Schnauzer hätte für einen Mann doppelter Größe ausgereicht. Unter seiner
Mütze stachen auffällig runde Ohren hervor. Ich fragte mich, ob er an Akromegalie litt, einer Krankheit, bei der sich die Gesichtszüge verändern und im Laufe der Zeit immer markanter werden.
»Der Strand wirkt von der Straße aus sehr einladend«, sagte er. »Aber bei Flut wird es hier ganz schön ungemütlich, das kann ich Ihnen sagen.«
Ich versprach, umgehend das Feld zu räumen, aber Polizist Segelohr wollte unbedingt reden. Ein wunderschöner Tag sei es, meinte er. Und diese unvergleichliche Aussicht! Für ihn sei die Hektik in San Francisco nichts. Seine Vorstellung von Glück sei eine kühle Limonade auf der Veranda.
Ich kämpfte meine Übelkeit nieder. Auf seine Gutmütigkeit vertrauend, erzählte ich ihm, dass ich vier Jahre zuvor bei einem Bootsunfall eine Freundin verloren hatte und mehr darüber in Erfahrung bringen wollte. Ob es möglich sei, Einsicht in den Polizeibericht zu erhalten? Er sagte, laut Freedom of Information Act könne ich jederzeit einen entsprechenden Antrag stellen. Das werde allerdings einige Monate dauern. Ansonsten könne ich versuchen, direkt mit dem Beamten zu sprechen, der damals die Ermittlungen geleitet hatte. Falls ich bei der Polizei von Santa Cruz nachfragen wolle, könne ich mich getrost auf ihn berufen.
Zunächst aber legte ich am Straßenrand einen weiteren Zwischenstopp ein, schaltete Andy Goldsteins Laptop ein und rief sein Tagebuch auf. Er hatte zahlreiche Seiten mit offenkundig harmlosen Einträgen im Telegrammstil gefüllt. Sie schienen sich über mehrere Jahre
hinzuziehen, wobei immer nur Tag und Uhrzeit angegeben waren, nie das volle Datum.
Donnerstag, 10:10. Kunstfilm mit E. (zum Flirten aufgelegt). Reicht moralische Zweideutigkeit als Definition für einen Kunstfilm aus? Wieder Ärger mit D-Wad. Ist nur Fachschaftsleiter, weil kein anderer den Job will. Wem Gott ein Amt gibt, gibt er nicht immer auch
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