Süchtig
schnitt.
»Das ist Zeitverschwendung«, entschied Weller. »Nimm ihn dir vor.«
»Was hat sie sich bloß dabei gedacht?«, fragte Velarde, als Whitney Houston beim letzten Refrain dramatisch die Tonart wechselte. »Wie konnte sie einen Versager wie diesen Bobby Brown heiraten?«
Ich appellierte noch einmal an Wellers besseres Ich. »Sie sind doch ein mitfühlender Mensch, Sergeant. Was würde Ihr Vater jetzt von Ihnen denken?«
Er hatte stundenlang von seinem kranken Vater erzählt. Das tat ein Folterknecht nicht – oder doch?
»Er wird sich freuen, eine neue Leber zu bekommen.« Wellers Stimme war ganz ruhig. »Meine Entscheidung steht fest.«
»Jetzt reicht’s«, mischte sich Velarde ein. »Ich gebe Ihnen noch eine Chance. Dann erlöse ich Sie von Ihrem Elend. Wie die Kellnerin.«
»Erin?«
»Sie können froh sein, dass Sie die los sind«, sagte Velarde ohne jedes Zögern. »In ihrer Wohnung wurde ziemlich übles Zeug gefunden.«
»Was ist das für ein Blödsinn? Das haben Sie doch dort versteckt!«
»Sie haben’s immer noch nicht kapiert!«
»Wovon reden Sie?«
Ich kämpfte verzweifelt gegen meine Fesseln. Velarde stieß einen Indianerschrei aus, und mir wurde plötzlich klar, dass die Geschichte mit Erin reiner Psychoterror war. Dann kam der Schmerz. Ich spürte, wie er mit dem Daumen gegen die Nadel drückte, und ließ einen Versuchsballon steigen.
»Moment! Macht Ihnen das mehr Spaß, als Laborratten umzubringen?«
»Maul halten, Sherlock.«
»Sie haben das Labor niedergebrannt, um jeden Hinweis auf dieses irre neurologische Experiment zu vernichten.« Ich stocherte im Nebel. »Sie haben die armen Tiere getötet und das Haus angezündet. Sie sind ja völlig durchgeknallt!«
Falls ich noch Zweifel daran gehabt hatte, dass es um mich geschehen war, wurden diese schnell beseitigt.
»Interessante Theorie«, sagte er, während sich die Nadel tiefer in meinen Arm bohrte. »Stimmt, ich bin
wirklich total durchgeknallt. Also, wo ist der Laptop?«
Mit dem Schlimmsten rechnend, krallte ich mich seitlich an der Liege fest. Meine Gedanken schweiften ab. Wollte ich ein Held werden? Ich überlegte. Konnte ich mich irgendwie retten oder sollte ich den Draufgänger spielen? Ich konnte den beiden natürlich erzählen, dass ich den Laptop Bullseye gegeben hatte. Dann würden sie sich den armen Kerl vornehmen, bis er ihnen verriet, wo das Ding versteckt war. Und wenn sie hatten, was sie wollten, würden sie uns alle beide erledigen.
Andererseits konnte ich mich widerspenstig zeigen oder den Stummen spielen. Damit würde ich vermutlich Bullseye und hoffentlich auch Samantha retten. Außerdem war es vielleicht meine letzte Chance, mich als Held zu erweisen.
Aus dem Radio drang die Stimme von Norah Jones. Nun schaltete sich auch Weller ein und bohrte mir sanft eine Nadel in die Wade.
»Sergeant, ein halbes Dutzend Leute wissen, dass ich Kontakt zu Ihnen hatte«, warnte ich. »Wenn ich verschwinde, stehen Sie auf der Liste der Verdächtigen ganz oben.«
Velardes Griff an meinen Hals wurde so fest, dass ich nach Atem rang.
»Leere Drohungen.« Weller klang müde und resigniert.
»Bitte.«
»Ihre letzte Chance.«
Es war hoffnungslos.
»Ich kann nicht«, sagte ich so mutig, wie ich konnte.
Der Druck an meinem Hals ließ nach. Velarde beugte sich zu mir. »Ich habe Sie gewarnt.«
Ich krallte mich wieder an der Liege fest. Diesmal wurde ich nicht enttäuscht. Velarde fasste die Nadel, die in meinem Hals steckte, und jagte sie mir mit voller Kraft in den Körper. Merkwürdig unbeteiligt fragte ich mich, ob er wohl die Wirbelsäule erwischt hatte. Dann fing ich an, mit meinem Schicksal zu hadern: Warum konnten sie mich nicht zu Musik von Bruce Springsteen umbringen?
Weißglühender Schmerz. Bevor ich ohnmächtig werden konnte, zog Velarde die Nadel zurück. Das Gefühl der Erleichterung war übermächtig.
»Ich will nur nicht, dass mir das Ding aus der Hand rutscht«, sagte Velarde. »Gleich hörst du die Engelein singen!«
Ich ließ meine Gedanken treiben und stellte mir tatsächlich einen Engel vor. Einen wunderschönen Engel mit dunklem Teint. Annie. Ich streckte die Arme nach ihr aus und suchte in ihren Augen nach der Antwort.
Als sich die Nadel in meinen Körper bohrte, öffnete ich den Mund und stieß einen wilden Schrei aus. Nichts. Kein Laut war zu hören. Dann hörte ich in der Ferne das Rattern eines himmlischen Peace Trains.
»Den mache ich fertig«, sagte eine Stimme, die von dem
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