Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
Vom Netzwerk:
Schließlich schob Annie mich weg.

    »Hast du den Laptop mitgebracht?«, wiederholte sie.
    Ich sah sie befremdet an. Wie konnte sie in einem solchen Augenblick danach fragen? Dann zuckte ich die Achseln. Sie würde schon ihre Gründe haben.
    »Wie du gesagt hast.«
    »Sei mir nicht böse.« Sie senkte den Blick und räusperte sich. Dann nahm sie meine Hand. »Turtle, erinnerst du dich noch an den Tag im Santa Cruz Boardwalk?«
    Ich konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden. Sie war gealtert – mehr als sich durch die vier Jahre unserer Trennung erklären ließ. Sie musste unglaublichen Belastungen ausgesetzt gewesen sein. Das war aber nicht alles. Offenbar hatte sie sich operieren lassen.
    Die runden Wangen waren durch eine aufgepolsterte Knochenstruktur bedingt. Ihr Haaransatz war tiefer als früher. Zudem trug sie farbige Kontaktlinsen. Die Wirkung war subtil, aber überzeugend – die Arbeit eines echten Profis, dem es gelungen war, ohne radikale Eingriffe einen völlig anderen Gesamteindruck zu erzielen. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
    »Wir haben einen Crêpe mit Schokofüllung gegessen, und du hast dir von einer Wahrsagerin aus der Hand lesen lassen.«
    »Eigentlich war es ein Zimt-Crêpe«, verbesserte Annie kokett. »Ich habe viel an diesen Tag gedacht. Er war einfach perfekt. Unsere Beziehung war perfekt.«
    Ich versuchte, ihr in die Augen zu sehen, aber sie senkte den Blick.

    »Weißt du, was mir die Wahrsagerin prophezeit hat?«
    »Dass du zu Geld kommst.«
    Annie löste ihre Hände aus den meinen.
    »Das habe ich dir erzählt, aber es stimmte nicht.«
    Sie ließ den Kopf hängen, als wäre sie zu traurig, um zu weinen.
    »Sie hat gesagt, ich würde vor eine schwierige Wahl gestellt werden und mich am Ende für die Liebe entscheiden.«

    Sie trat einen Schritt zurück.
    »Du trägst die Koteletten länger als früher. Oh, du bist ja verletzt.«
    Mein hellblaues T-Shirt hatte sich rostrot verfärbt.
    »Das habe ich Dave Elliott zu verdanken.«
    Sie schlug die Hand vor den Mund. Ich hätte nicht sagen können, ob sie damit Schock, Wut oder Sorge ausdrücken wollte. Leise Zweifel nagten an mir. Ihr Verhalten wirkte irgendwie einstudiert. Ich schob den Gedanken beiseite.
    »Irgendwer hat ein Programm auf meinem Computer installiert.«
    Das klang banal, aber ich war zu dem Schluss gekommen, dass sich Annie den Rest denken konnte.
    »Furchtbar. Es tut mir wahnsinnig leid, Turtle. Wie konnte er nur?«
    »Dein Vater? Was ist hier eigentlich los?«
    Ihr Gesicht veränderte sich. Ihre Züge wurden hart und entschlossen. Diesen Ausdruck hatte ich erst ein einziges Mal gesehen – in New York, als ich in ihre Besprechung mit den Financiers von Vestige Technology
geplatzt war. Plötzlich packte mich das unausweichliche Gefühl, endgültig erwachsen geworden zu sein. Viel zu schnell war die Zeit vergangen.
    »Du darfst niemandem trauen«, sagte sie nachdenklich. »Ich bringe die Sache zu Ende. Und zwar jetzt.«

49
    Seit ich Annie zum letzten Mal gesehen hatte, war eine Ewigkeit verstrichen. Fische hatten Beine bekommen, waren an Land gekrochen und hatten den Verbrennungsmotor erfunden. Und Annie war hart geworden. Ich hatte immer gewusst, dass eine gewisse Erbarmungslosigkeit in ihrer Natur lag. Bisher hatte ich jedoch geglaubt, der andere Teil ihrer Persönlichkeit sei eindeutig stärker.
    »Ich habe mich nicht vier Jahre lang tot gestellt, damit es so endet. Er hat mir das angetan. Und dir, Nat. Uns beiden. Das können wir ihm nicht durchgehen lassen. Endlich kann ich ihm ein für alle Mal das Handwerk legen.«
    »Das hier ist mir egal.« Ich legte die Hand auf meine Wunde. »So etwas heilt, im Gegensatz zu einem gebrochenen Herzen. Annie, denk dran, was wir immer gesagt haben. Du musst dich nicht in diesem Dreck suhlen. Lass los. Sonst verfolgt uns die Sache ewig.«
    Das war unmissverständlich. Ich konnte mich nicht erinnern, mich ihr gegenüber je so direkt geäußert zu haben.
    Loyalität, ohne blinde Ergebenheit. Als sie auf mich
zutrat, veränderte sich ihr Gesicht erneut. Ihre Züge wurden weich.
    »Wenn du hörst, was ich durchgemacht habe, wirst du verstehen, warum uns keine Wahl bleibt.«

    »Liebst du mich noch?« Sie flüsterte fast.
    Ich sah ihr in die Augen und schluckte. Eigentlich war jede Antwort überflüssig, aber sie sah mich lauernd an. Ich kam mir vor wie ein Versuchsobjekt.
    »Natürlich.«
    »Was ich dir jetzt erzähle, ist nur für dich bestimmt. Du darfst es nie

Weitere Kostenlose Bücher