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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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Offenbar stellte ich ihre Geduld auf eine harte Probe.
    »Ich war gut vorbereitet. Einen Monat lang hatte ich mit einem Privatlehrer und einem Meditationstrainer geübt. Außerdem hatte ich Betablocker genommen. Und dann war da noch dieser Polizist.«
    Sie stand auf, streckte die Arme und setzte sich neben mich auf die Couch. Mit der Hand deckte sie meine Wunde ab.
    »Edward.«
    »Velarde? Officer Velarde.«
    Das hatte sie nicht erwartet. »Ja. Woher …«
    »Arbeitet er immer noch für dich, Annie?«
    Sie schüttelte entsetzt den Kopf. »Für sie.«
    »Für Dave Elliott und deinen Vater?«
    Sie nickte. »Nat, bitte lass mich ausreden. Dann
wirst du alles verstehen. Ich will dir das schon so lange erzählen.«
    Sie hatte sich an der Boje festgehalten, wo Officer Velarde sie mit seinem Boot aufgesammelt hatte. Im Falle einer Entdeckung wollten sie die Taucherausrüstung über Bord werfen und behaupten, er habe sie gefunden und wiederbelebt.
    In den Jahren nach Annies Tod hatte ich mich damit abgefunden, dass sie mehr Ehrgeiz besaß, als ich während unserer Beziehung hatte glauben wollen. Aber das hier überstieg meine Vorstellungskraft.
    »Das kann nicht sein«, sagte ich mit tonloser Stimme. »So bist du nicht.«
    Sie starrte in den Kamin, als sei er Lichtjahre von uns entfernt.
    »Du verstehst einfach nicht, was auf dem Spiel stand.«

50
    »Kannst du dir vorstellen, was mit mir im Gefängnis passiert wäre?«, fragte sie.
    Ich sah durch sie hindurch.
    Annie hatte ihren Tod vorgetäuscht und sich in Frankreich in die Einsamkeit zurückgezogen. Ich musste davon ausgehen, dass sie gute Gründe gehabt hatte, mich zu verlassen. Oder nicht?
    Noch etwas störte mich. Die neue Annie war nicht die Frau, die ich gekannt hatte. Ich wusste nicht, woran ich es festmachen sollte, aber sie schien mir berechnender.
    »Würdest du mir bitte erklären, warum du mich hast sitzen lassen?«
    Neugier und Kummer triumphierten über den körperlichen Schmerz. Ich merkte kaum noch, dass sich weiß glühende Messer in meine Seite zu bohren schienen.
    »Weißt du noch, wie mein Vater mir das Projekt mit Vestige Technologies übertragen hat? Die Firma stellte Software für Großunternehmen her. Diese Programme wurden unter anderem für Personalverwaltung, Vertrieb und Produktverfolgung eingesetzt.«
    »Und deswegen hast du unser gemeinsames Leben weggeworfen.«

    Sie begegnete meinem Blick.
    »Das Potenzial war enorm. Kindle Investment hatte fünfundachtzig Millionen in die Firma investiert, und das war erst der Anfang.«
    Ein ordentliches Sümmchen. Auf dem Höhepunkt des Dotcom-Booms wurden völlig überzogene Beträge in Start-up-Unternehmen investiert. Fünfundachtzig Millionen waren trotzdem ungewöhnlich viel Geld. Das ließ darauf schließen, dass die Unternehmensgründer eine gewisse Strategie verfolgten. Vermutlich planten sie einen Börsengang, mit dem sie ihr eigenes Geld und das der Gesellschafter mehrfach wieder hereinholen wollten. Glenn Kindle war kein Mensch, der ins Blaue hinein Geld investierte.
    Annie stand am Küchentisch, packte Wäsche in eine Reisetasche und schloss den Reißverschluss. Dann legte sie die Hände auf die Tasche, als wollte sie einer Aktionärsversammlung einen Vortrag halten.
    »Mehrere Wettbewerber drängten ebenfalls an die Börse, denen mussten wir zuvorkommen. Für mich war das die Feuerprobe. Wenn es funktionierte, war es ein Erfolg, wie ihn sich mein Vater nicht hätte träumen lassen.«
    Sie schloss die Augen.
    »Ich frisierte die Bücher. Manches erfand ich, anderes ließ ich in einem günstigeren Licht erscheinen. Am Ende wirkten wir viel erfolgreicher, als wir tatsächlich waren.«
    »Ich kann das nicht glauben. Das ist Betrug. Du hast eure Bücher gefälscht.«
    »Nicht nur unsere.«
    Annies Stimmung hatte umgeschlagen. Hatte sie
zuerst bei ihrem Geständnis um mein Mitgefühl geworben, wirkte sie nun distanziert und wollte das Gespräch offenbar nur noch hinter sich bringen. Diesen Zug kannte ich von früher. Es fiel ihr schwer, Kritik einzustecken.
    Ein Wettbewerber drohte damals, Vestige mit dem Börsengang zuvorzukommen, sagte sie. Wie alle Dotcom-Unternehmen stellte auch dieser Konkurrent permanent neue Mitarbeiter ein. Eine der neuen Führungskräfte war von Vestige eingeschleust worden. Dieser Informant ließ gegenüber Presse und Börsenaufsicht durchsickern, sein vorgeblicher Arbeitgeber habe seine Erträge künstlich aufgebläht. Unverbindliche Bestellungen seien als Umsatz verbucht

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