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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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geschlagen. Verschwunden war die coole Investmentbankerin. Sie war nur noch eine Frau – eine junge Frau.
    »Also steckt dein Vater hinter der ganzen Sache. Er hat dich überredet, die Bücher zu frisieren.« Ich brannte darauf, Annie den Klauen ihres Vaters zu entreißen. Sie stand auf und wich einen Schritt zurück.
    »Er hatte nichts damit zu tun«, erwiderte sie. »Willst du denn nicht verstehen, wozu ich fähig bin? Selbst jetzt noch nicht? Kaum zu glauben.«
    »Wie war es dann?«
    »Mein Vater hatte mir ausdrücklich davon abgeraten, den Umsatz von Vestige künstlich aufzublähen«, sagte sie. Das schien mir nicht sehr glaubwürdig, aber ich ließ sie weiterreden.

    Angeblich hatte Annies Vater eine ziemlich genaue Vorstellung von ihren Machenschaften gehabt und war sich der möglichen Konsequenzen bewusst. Er selbst hatte sich bei seinen Anlagen so abgesichert, dass die Behörden ihm nichts anhaben konnten. Gegen Erpresser war jedoch kein Kraut gewachsen. Der Banker wollte fünfzig Millionen Dollar. Glenn Kindle fürchtete um seinen Ruf und um seine Tochter.
    »Die väterlichen Instinkte meines Vaters waren geweckt – und zwar die guten wie die schlechten. Er war geradezu paranoid. Zum einen wollte er mich schützen, zum anderen hoffte er, mich in die Hand zu bekommen, indem er die Forderung des Erpressers beglich. Ich hätte für alle Zeiten in seiner Schuld gestanden.«
    »Also hat er bezahlt«, stellte ich trocken fest.
    »Damit wurde alles nur noch schlimmer.«

    Plötzlich stellte ich fest, dass ich mir in die Wange biss. Mit der Hand fuhr ich mir über das Hemd, aber die klaffende Wunde an meiner Seite hatte ihre Bedeutung verloren. Annie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Früher hatte ich diese Geste an ihr geliebt. Sie seufzte.
    »Dave bedrohte den Investmentbanker.«
    »Dave Elliott.«
    Sie nickte.
    »Er hat gedroht, den Mann umzubringen?«
    »Schlimmer. Er sammelte Material gegen den Banker. Der hatte seine eigenen Geheimnisse. Nichts Aufregendes, aber es hätte seine Ehe zerstört. Einmal holte Dave den Sohn des Mannes von der Schule ab, um ihm zu zeigen, dass er vor nichts zurückschreckte.«

    Ich schloss die Augen.
    »Als ich davon erfuhr, rastete ich aus. Ich flehte ihn an, damit aufzuhören.«
    »Wusste dein Vater davon?«
    »Das bezweifle ich. Er ist knallhart, aber dafür hätte er nicht die Nerven.«
    »Nicht die Nerven. Das klingt, als ob …«
    »Dave war sein Mann fürs Grobe. Ein Schläger im Anzug.«
    Offenbar hatte Elliott dem Banker nur zu verstehen geben wollen, dass sie ihm das Leben zur Hölle machen konnten. Schließlich ließ sich der Mann mit hunderttausend Dollar abfinden.
    »Ein Taschengeld«, sagte Annie. Sie kam zu mir und nahm meine Hand. Es war eine beiläufige Geste, als bräuchte sie etwas, mit dem sie herumspielen konnte.
    »Aber damit war das Problem nicht gelöst. Börsenaufsicht und Steuerfahndung planten Ermittlungen. Irgendwann wäre der ganze Skandal aufgeflogen. Kindle Investment Partners war ein dicker Fisch, den hätte jeder gern zur Strecke gebracht. Aber wir haben dafür gesorgt, dass es keine Strafverfolgung gab.«
    Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter. »Eine Hauptverdächtige kam bei einem tragischen Unfall auf See ums Leben.«
    Ihr Vater hätte mit diesem Schachzug bestimmt geprotzt, aber Annie klang nur traurig und resigniert.
    »Mir blieb keine Wahl. Ich musste untertauchen. Wenn herausgekommen wäre, dass wir Anleger betrogen, einen Wettbewerber ruiniert und schließlich ein Kind entführt hatten, um diese Straftaten zu verdecken, hätte man mich exemplarisch für die Auswüchse
des Dotcom-Booms an den Pranger gestellt. Ich wäre für viele Jahre ins Gefängnis gewandert, und du …«
    »Was ist mit mir, Annie?«
    »Du hättest gemerkt, was für ein schrecklicher Mensch ich bin.«
    Mein Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Ich fragte mich, wo ihre Tränen gewesen waren, als sie mir den großen Betrug schilderte. Vielleicht hätte ich sie trösten sollen, aber ich konnte sie nur schweigend ansehen.
    »Wer war der Investmentbanker, der euch bedroht hat?«
    Sie griff nach der Reisetasche, die sie soeben gepackt hatte. Wo wollte sie damit hin?
    »Sein Name war Simon Anderson.«

    Nahezu zehn Stunden lang war ich von den Kopfschmerzen verschont geblieben, die mich seit dem Anschlag auf das Café plagten. Jetzt waren sie wieder da. Ich hielt mich an einem Stuhl fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    »Annie. Hast du … hast du

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