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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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schwerer Krankheit« verstirbt, kann ich ohnehin nicht verstehen. So als sei schon einmal jemand nach leichter Krankheit verschieden.
    Als ich die Wohnung betrete, steht Raoul vor dem Herd und bewacht einen Topf. »Wasser kocht!« Er winkt mich herbei.
    Ich lasse die beiden Würste in das Wasser hineingleiten, ganz behutsam, so wie man Babys in die Badewanne setzt.
    Raoul hat die Klappstühle und den Mini-Tisch auf den Balkon getragen. Sogar an Servietten hat er gedacht.
    »Was feiern wir?«
    »Rate«, sagt er. Seine Augen glänzen.
    »Du bist fertig mit deinem Projekt.«
    »Warm.«
    »Wie warm?«
    »Sehr«, sagt er und küsst mich auf den Mund. Seine Lippen sind heiß und trocken.
    »Ich habe Lust«, sagt er. »Auf ein Spiel.«
    Er hält meinen Kopf in beiden Händen und reibt seine Nase an meiner.
    Das Wasser blubbert. Aus dem Augenwinkel sehe ich die Würste im Topf herumschwimmen, als hätten sie einen eigenen Willen entwickelt.
    »Warum lachst du«, flüstert Raoul.
    »Ach«, sage ich und lege meinen Kopf auf seine Schulter. »Ich freue mich so für dich.«
    Das Licht durchscheinen lassen , hat Maja gesagt. Es ist ganz leicht. Ich lasse mich von ihm auffangen wie jemand, der von einer langen Reise zurückgekehrt ist.
    »Mit dem ersten Geld, das das Projekt abwirft, fahren wir auf Urlaub«, sagt Raoul.
    »Paris«, sage ich.
    »Rio«, sagt Raoul.
    »Amsterdam.«
    »Bali?«
    »Warum nicht. Bali.«
    Da spüre ich sie wieder, die feinstoffliche Nabelschnur zwischen uns.
    »Die Würste«, sagt Raoul. »Sie sind fertig.«
    Wir setzen uns ans Tischchen und drapieren die Stoffservietten auf unseren Knien. Stiefmütterchenblauer Himmel. Die Wurst ist trocken und knorpelig, aber ich habe ohnehin keinen Hunger. Ich säge sie in dünne Scheiben, um nicht zu viel davon essen zu müssen. Raoul isst mit großem Appetit und spricht mit vollem Mund.
    »Willi wird in mein Projekt einsteigen«, sagt Raoul. »Ein Coup«, sagt er. Und immer wieder: »Das ist ein genialer Coup, ein Coup ist das.«
    Willi ist Software-Architekt, was auch immer das ist. Er hat ein altes Gesicht und junge Haare. Ganz viele blonde Locken, die vom Kopf abstehen. Ein vor dem Bildschirm gealterter Engel.
    »Schmeckt es dir nicht«, sagt Raoul. Er hält inne und hebt die Wurst mit der Gabel an, um den Inhalt zu inspizieren.
    »Köstlich«, sage ich. »Aber mit Senf wäre sie noch besser.«
    Raoul springt auf. Diese Besorgtheit ist neu, aber ich freue mich darüber wie über ein wertvolles Geschenk.
    Als er in der Wohnung verschwunden ist, luge ich hinüber zu den Eberweins. Sie sind nicht zu Hause, die Balkontür ist geschlossen. Ich greife zu meinem Teller und werfe die Blutwurst-Scheibchen über die Plane. Danach steige ich auf den Klappstuhl, um das Ergebnis zu betrachten. Ganze Arbeit. Die Wurststücke hängen im Jasminstrauch wie bizarre Blüten. Hugo wird die Beweisstücke vernichten. Und die Sträucher gleich dazu. Als Raoul mit dem Senf zurückkehrt, sitze ich bereits wieder an meinem Platz.
    »Oh, du bist ja schon fertig«, sagt Raoul und blickt enttäuscht auf meinen Teller.
    »Ich konnte mich nicht beherrschen«, sage ich.
    »Das verstehe ich«, sagt Raoul und streckt mir seine Hand entgegen. »Ich kann mich auch nicht beherrschen. Darf ich bitten?«
    Wir betreten Arm in Arm den Wohnschlafraum, und es fällt mir sofort ins Auge: Das Todesanzeigenredaktions-Kostüm, das Raoul sorgfältig über die Lehne der Schlafcouch drapiert hat.
    »Ich möchte dich darin sehen«, sagt er.
    »Jetzt?«
    »Hier und jetzt.«
    Ich schäle mich aus meiner Jeans-Strickjacken-Kombination, während Raoul mich von der Couch aus betrachtet. Als ich aus dem Shirt schlüpfe, bemühe ich mich, den Bauch einzuziehen. Nun bin ich froh, nicht die ganze Wurst gegessen zu haben.
    »Lass den Bauch locker«, sagt Raoul. »Ich mag das.« Er lacht.
    Der dunkle Rock spannt ein wenig auf Höhe der Oberschenkel.
    »Wir machen das so«, sagt Raoul. »Das siebte Flittchen bietet heute Rabatt für erfolgreiche Softwaredesigner – einverstanden?«
    Während ich mich der Blutwurst entledigt hatte, hat sich Raoul wohl schon eine gefinkelte Dramaturgie überlegt. Ich setze mich in den abgewetzten Ohrensessel, lege ein Bein über das andere und schiebe den Rock hoch.
    Raoul hat es eilig, für die sechs Phantomflittchen hat er nur Beleidigungen übrig. »Hässlich!«, bellt er zur Wand. »Grins nicht so dumm, Schlampe! Und du? Wo haben sie dich denn ausgegraben?«
    Drehung nach links. Gespielte

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