Südbalkon
Schweinefleisch, Rind und Kalb«, sagt Samson, »von frischem Hund weiß ich nichts.«
Er stopft einen dunkelroten Fleischbrocken in den Fleischwolf.
»Nein, ich meine: War ein Hund vor kurzem hier?«
»Hier?« Er blickt auf. »Hundeverbot. Allerschärfstes Hundeverbot, meine Liebe.«
Ich sehe seinen Händen zu. Große Hände mit breiten Fingern, die geschickt mit totem Tier hantieren. Ich frage mich, wie er abends den Geruch nach Blut und Verwesung von der Haut bekommt. Geht doch sicherlich durch die Plastikhandschuhe durch. Wäre ich mit ihm verheiratet, müsste ich ununterbrochen an seinen Händen schnuppern. Vielleicht würde es mich heiß machen, wenn ich wüsste, dass diese Hände, die meine Brüste berühren, gerade noch im Blut gebadet haben. Das muss irgendein prähistorischer Reflex sein: Mann erlegt Säbelzahntiger und wird nach der Rückkehr mit Sex belohnt. Samson spürt meinen Blick.
»Alles in Ordnung, Ruth? Darf ’s noch was sein?«
»Zwei Blutwürste«, sage ich schnell.
»Wo ist deine Freundin heute?«, fragt er.
»Unterwegs«, sage ich. Damit liegt man immer richtig.
Ich frage mich, ob Samson an Maja Gefallen gefunden hat, und bin sofort eifersüchtig. Er ist mein Fleischer. Seit wir ins Viertel gezogen sind, halte ich ihm die Treue.
Heute ist Verschwendertag, Herr Othmar hat überwiesen. Ich beweise Samson meine Treue, indem ich einen Teil des Geldes in Fleisch anlege.
Eindeutig, es riecht nach dem Dackel der Eberweins. Kann aber auch Einbildung sein, denn manchmal rieche ich Dinge, die nicht da sind. Damit ist nicht zu spaßen! Im Stern habe ich von einer Frau gelesen, die immer wieder Waschmittel gerochen hat. Kurze Zeit später die fatale Diagnose. Gehirntumor. Ein Glioblastom, das sich wie ein Krake durchs Hirn frisst, nichts auf der Welt kann es aufhalten. Auf dem ganzseitigen Bild sieht man die Frau verloren am Küchentisch sitzen. Sie trägt eine Schürze, so als würde sie gleich aufstehen und einen Kuchen backen. Auf der Schürze steht: »Alles in Butter«. Sie ist nicht alt, jedenfalls nicht alt genug. Ihr Leben, klagt sie, trenne sich auf wie ein Pullover. Eine Nachricht aus dem Totenreich, denn als der Stern gedruckt wurde, war die Frau bereits in einem Schweizer Bett gestorben, nachdem sie mit einem Strohhalm einen Becher mit Natriumpentobarbital ausgetrunken hatte.
Als die Sache mit den Geruchshalluzinationen anfing, lief ich deshalb sofort zum Neurologen, panisch. Er schien überhaupt nicht beeindruckt, verordnete nicht einmal ein MRT, sondern diagnostizierte Erschöpfung. Dabei arbeitete ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht.
»Antidepressiva können helfen«, sagte der Arzt.
»Nein, danke.«
» Spiegel «, sagte er, »nicht wahr. Sie werden es nicht glauben,aber nach solchen Geschichten sind die Wartezimmer voll.«
» Stern «, sagte ich.
»Darf ’s noch was sein?« Samson legt das Rinderhack und die Würste neben die Registrierkasse. Die tut so, als wäre sie eine Antiquität, in Wirklichkeit hat sie jede Menge Elektronik eingebaut. Samson dreht einmal an der Kurbel, ritscheratsch, klingeling.
Dann sagt er: »Nächste Woche Betriebsurlaub, Fräulein Amsel. Bitte notieren!«
»Urlaub?«
»Automesse Salzburg«, sagt er. »Kommst du mit?«
»Klar«, sage ich. »In meinem nächsten Leben.«
Auf der Straße lasse ich mich vom Strom der Fußgänger mitreißen.
Natriumpentobarbital. Ein Wort, das ich mir niemals merken wollte, niemals, und jetzt hat es sich für immer im Kopf festgeschraubt. Natriumpentobarbital. Ein Barbiturat, Wirkungsdauer: medium, das in der Humanmedizin als Schlafmittel und in der Tiermedizin zum Einschläfern eingesetzt wird. Ein Sterbewilliger, der das trinkt, schläfert sich selbst ein. Folgendes habe ich gelesen: Der Freitodbegleiter darf das Glas halten, aber er darf keine Tätigkeit ausführen, die zur Einverleibung des Medikaments führt. Das Mitglied muss fähig sein, das Medikament selbst zu sich zu nehmen. Unmittelbar nach einer Einnahme des Medikaments über den Mund werden dem Mitglied entweder Süßgetränke oder Schokolade angeboten, damit der bittere Geschmack im Mund überdeckt werden kann.
Der letzte Geschmack wird ein süßer sein, dafür ist gesorgt.In den Todesanzeigen heißt es dann: »nach kurzer, schwerer Krankheit«. Einmal musste ich »nach kurzer, heftiger Krankheit« schreiben, so als illustriere »heftig« die Todeskrankheit drastischer als das übliche »schwer«. Weshalb es betont werden muss, dass jemand »nach
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