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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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kommst«, sagt meine Mutter. Sie scheint kein bisschen überrascht. »Pawel, bitte einen weiteren Teller für den Freund des Hauses.« Betonung auf Freund .
    »Würdest du bitte einen Moment hinauskommen«, sagt Raoul. Er meint mich. Seine Stimme zittert. Was ist das? Eine Aufforderung zum Duell?
    Kaum auf dem Flur, hagelt es Vorwürfe.
    »Judith hat angerufen. Sie hat sich Sorgen gemacht, dass du – dass du dir etwas antust«, zischt er. »Du hättest gedroht, dich von einem Hochhaus zu stürzen. Kannst du dir vorstellen, wie groß meine Angst war? Kannst du dir das vorstellen?« Er wird laut. »Denkst du eigentlich auch einmal an andere?«
    »Nein«, sage ich. »Dreimal nein.«
    »Was ist denn hier los«, höre ich meine Mutter sagen. Ihre Entourage ist ihr dicht auf den Fersen, zwei in die Jahre gekommene Bodyguards, die hinter ihr Aufstellung nehmen.
    »Der Grüne ist in Ordnung?«, fragt Pawel und hält einen Teller mit Blümchenmuster hoch. »Blaue sind keine mehr da.«
    Und plötzlich stehen wir alle im Flur: meine Eltern und Herr Walter. Raoul. Pawel. Und ich. Unter dem traurigen Lüster, zwischen Neopren-Jacken und Schuhregal.
    »Grün ist in Ordnung«, sagt meine Mutter, und zu Raoul gewandt: »Du kannst die Katzen-Hausschuhe anziehen.«
    Ich sehe sie an, nach der Reihe. Behalte sie gut im Gedächtnis, denke ich.
    Ich höre den Wasserhahn in der Küche tropfen, irgendein Magen grummelt.
    Das ist mein Auftritt. Ohne ein weiteres Wort öffne ich die Tür und gehe hinaus. Im Film ist es so, dass einem immer werfolgt. Mir aber folgt niemand. Ich bin erleichtert und gleichzeitig ein wenig enttäuscht.
    Der Garten macht einen erschöpften Eindruck, nur Salat und Kräuterspirale halten noch die Stellung. Und die Nachbarin.
    »Ja, die junge Amsel«, frohlockt Frau Obernosterer. »Auch wieder einmal zu Besuch in der Heimat.« Sie wischt ihre Hände an der Schürze ab und hält ihre schwielige Hand über den Zaun.
    »Grüß Gott«, sage ich.
    »Die Frau Mamá hat viel Besuch in letzter Zeit«, sagt sie.
    »Der Herr mit den dunklen Haaren kommt jeden Tag!«
    »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis«, sage ich und winke sie heran. Ihr Ohr ist riesengroß und gefältelt wie das Alterswerk eines Origami-Künstlers.
    »Der Herr ist Direktor der Weltbank«, flüstere ich ihr ins Ohr.
    »Nein«, ruft sie aus und bedeckt den Mund mit ihrer Hand.
    »Doch«, sage ich. »Sie wissen schon: Dort wird das Geld der ganzen Welt gedruckt. Der ganzen Welt.«
    Ich greife in die Hosentasche und drücke ihr das NUBA-Staubtuch in die Hand.
    »Für Sie«, sage ich. »Aus der Weltraumforschung. Damit wird die Weltbank geputzt.«
    »Das wäre aber nicht notwendig gewesen«, sagt Frau Obernosterer und greift erstaunlich flink nach dem Tuch.
    »Haben Sie eine Ahnung«, sage ich.
    Als ich das Tuch losgeworden bin, fühle ich mich unendlich müde. Ich habe Lust, mich auf dem Rasen auszustrecken, zwischen Rosen und Salatbeet, und in den Himmel zu schauen.Wolkenfernsehen. Stattdessen setze ich mich auf die Steinstufen, die zum Haus führen, und lege meine Stirn auf die Knie.
    »Bald ist der Herbst da«, sagt mein Vater.
    Ich habe ihn nicht kommen hören. Er wird immer leiser, dezenter, transparenter.
    »Ganz schön kühl«, sage ich und richte mich auf.
    Wir wechseln einen schnellen Blick.
    »Letzte Woche habe ich die erste Fuhre Brennholz bestellt.« Er steht in Bärenhausschuhen auf dem Treppenabsatz, die Hände in den Taschen, und schaut hinüber zu den Rapsfeldern, die Unterbruchstetten von Siegendorf trennen.
    »Erntezeit«, sagt er.
    Und du?, will ich ihn fragen. Wann erntest du?
    Noch bevor ich ein Wort sagen kann, zieht er die Voodoo-Puppe aus der Hosentasche. »Die lag am Boden. Gehört sie dir?«
    Mit der Puppe ist was passiert. Ihre weiße Textilhaut ist übersät mit roten Pickeln.
    »Ich denke schon«, sage ich und greife nach der Puppe.
    Jetzt sehe ich es: Das sind keine Pickel. Jemand hat sämtliche Herz-Pins auf ihren weißen Brustkorb gepinnt. Hundertfache Herztransplantation.
    »Kommst du rein?«, fragt mein Vater. »Es gibt Lasagne.«
    »Ich bleib noch ein bisschen«, sage ich. »Durchatmen.«
    Er nickt und schließt die Tür, ganz behutsam.
    Die Puppe ist hosentaschenwarm. Ich presse ihren kahlen Stoffkopf gegen meine Wange. Und dann muss ich plötzlich lachen, einfach so.

Informationen zum Buch
    Das Leben ist kein Südbalkon
    „Man sieht es einem Gebäude nicht an, wenn darin ausführlich gelitten wird.“
    Ruth tut, was der Rest

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