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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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ich Frau Hiltrud bei der Farnpflege oder unterstütze sie bei der Zensurierung der Frau im Glück . Mein Ziel ist es, mich unentbehrlich zu machen.
    »Fräulein Ruth, was reimt sich auf ›eingliedern‹?«
    Seit Wochen arbeitet Frau Hiltrud an ihrem Siegfried-Pospischil-Gedenkgedicht. Dass sich auf »Pospischil« nichts reimt, hat sie bereits zur Kenntnis genommen.
    »Anbiedern?«
    Sie lacht. »Also, Fräulein Ruth, auf welche Gedanken Sie kommen! Was halten Sie davon? Von morgens bis abends ein einziges Ziel: Wiedereingliedern bedeutet dir viel.«
    Sie duzt ihn, jetzt ist es amtlich. Jeder weiß, dass Frau Hiltrud den Chef persönlich gekannt hatte, und jeder rätselt, wie weit diese persönliche Nähe gediehen war, ob sie eventuell auch mit ihm unter einer Decke gesteckt habe, also wortwörtlich. Das ist insofern interessant, als Herr Pospischil seine zig Millionen in mehreren Stiftungen und Gesellschaften geparkt hatte, bevor er das Zeitliche segnete, und wohl auch Frau Hiltrud großzügig für ihren Einsatz an der Arbeitslosenfront belohnt hatte.
    »Sehr schön«, sage ich. »Sie sind eine Dichterin. Herr Pospischil wäre stolz auf Sie.«
    »Ach, Fräulein Ruth«, sagt Frau Hiltrud. »Eigentlich sollte es heißen: Wiedereingliedern bedeutet dir alles. Aber darauf will mir einfach kein Reim einfallen.«
    »Nicht schlimm«, sage ich und tätschle ihre Hand. Eine winzige,weiche Babyhand mit zahllosen Altersflecken, jung und alt zugleich. Ich versuche, mir Frau Hiltrud und Herrn Pospischil im Bett vorzustellen. Hatten sie jemals Sex? Oder hieß es »sich zurückziehen«? »Komm, Trudi, ziehen wir uns auf mein Zimmer zurück.«
    »Ich muss weitermachen, Kind«, sagt Frau Hiltrud und seufzt. Sie säubert die leeren Schalensessel mit Desinfektionsmittel. Es riecht nach Krankenhaus.
    Eine nachlässig gekleidete Frau nimmt neben mir Platz. Wanda. Sie stellt zwei bis an den Rand gefüllte Einkaufskörbe vor sich ab. Sie keucht. Kaum, dass sich ihre Atmung beruhigt hat, kramt sie in den Körben, holt eine Salatgurke und einen Gemüseschäler heraus. Sie beginnt, die Gurke zu schälen. Die Schalen lässt sie in den Korb fallen.
    »Wie oft hab ich ihm gesagt: Ich möchte nicht zurück ins Büro«, sagt sie, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. »Ich wollte bei mir daheim als Hausmeisterin arbeiten, der Posten war ja frei. Und wissen Sie, was mir gefehlt hat? Das richtige Parteibuch. Die Eixelsbergerin ist es geworden. Glauben Sie, dass die eine Ahnung hat von Hausreinigung? Keinen Tau. Und genauso schaut’s aus. Dass es einer Sau graust.«
    In der Rubrik Reaktionen auf missglückte Wiedereingliederung notiere ich: Gurke schälen. Der erste Eintrag, in dem Gemüse vorkommt. Die meisten Leute drohen damit, sich per Einschreiben an die Leitung zu wenden, um die »inakzeptablen Vermittlungsversuche, die nur ins Unglück führen« anzuprangern.
    Wanda redet sich in Rage. Ich habe sie noch nie so aufgebracht gesehen. Eine gescheiterte Wiedereingliederung mobilisiert verborgene Kräfte.
    »Wasser auf die Stiegen schütten, das kann sie. LetzteWoche hätte das dem Hrdlicka fast das Genick gebrochen.« Wanda sticht mit der nackten Gurke in die Luft wie mit einem Säbel.
    Plötzlich baut sich Herr Othmar vor uns auf, keine Ahnung, was er hier zu suchen hat, das ist doch gar nicht sein Revier. Ich vermute, dass er Wanda zur Raison rufen will, doch er nimmt eindeutig mich ins Visier.
    »Na, wenn das nicht das Fräulein Ruth Barbara ist«, sagt er und grinst.
    »Sie ist es«, sage ich.
    »Gehören Sie denn hierher?«
    »Natürlich nicht«, flüstere ich. »Ich hole nur jemanden ab.«
    »Soso«, sagt er. »Wenn Sie mich für einen Moment in mein Zimmer begleiten?«
    Schrecksekunde. Habe ich gegen den Ordnungskatalog der Gesellschaft verstoßen? Ich folge ihm mit gesenktem Kopf wie eine unartige Schülerin. Alle sehen mir nach, selbst Wanda unterbricht ihre Brandrede.
    Wir betreten sein Zimmer, er schließt die Tür, sagt: »Bitte!«, und deutet auf den Stuhl. Ich setze mich an den Rand der Sitzfläche, bereit, jederzeit aufzustehen. Herr Othmar wiederum begibt sich nicht auf die Kommandobrücke (vor seinen Computer), sondern lehnt sich nur lässig an den Schreibtisch.
    »Wir unterstützen Sie«, sagt er.
    »Genau«, sage ich.
    »Ich war noch nicht fertig. Wir – also die Gesellschaft – unterstützen Sie, falls Sie planen, sich selbständig zu machen.«
    »Aha.«
    Panik.
    Ob ich denn schon einmal mit dem Gedanken gespielt hätte, fragt

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