Südbalkon
genug, um als Toyboy durchzugehen, nicht alt genug für einen Vaterersatz.
»Und was machen Sie so?«, frage ich Herrn Walter, und er antwortet: »Ich arbeite in der Raiffeisenbank Stoldering.«
»Sei nicht so bescheiden, Walter!«, ruft meine Mutter. Zu uns gewandt: »Er ist Direktor der Bank.«
Direktor, denke ich. So ist das also. Ein Direktor hat Anrecht auf die Stirnseite, den Vorsitz, der ist ja sozusagen derKönig des Landstrichs. Vielleicht wollen meine Eltern einen Kredit aufnehmen und es sich deshalb mit der Bank nicht verscherzen.
Meine Mutter serviert die Suppe und legt Herrn Walter vorsorglich drei Grießnockerl in den Suppenteller, jedes einzelne so groß wie ein vier Monate alter Embryo. Die Arbeit als Bankdirektor schlaucht offensichtlich, da bedarf es einer ordentlichen Stärkung. Wir anderen bekommen nur je ein Nockerl, was Raoul erstaunt, aber stumm zur Kenntnis nimmt. Herr Walter ist der Ehrengast, nicht Raoul, welche Genugtuung, denn sonst wird er von meiner Mutter gehätschelt wie ein Wunschkind: »Raoul, schmeckt es dir? Kann ich dir noch etwas bringen? Möchtest du noch Salat? Salz? Ketchup?« Heute nichts dergleichen, alle Aufmerksamkeit gilt dem Bankdirektor.
Ich überlege, ob ich es gern gehabt hätte, wenn mein Vater Bankdirektor gewesen wäre, und meine Antwort lautet: Eindeutig, ich hätte es geliebt. Das wäre die Eintrittskarte in die Selma-Clique gewesen. Linda Wegrostek hätte es nicht gewagt, mich ihre Verachtung spüren zu lassen. Die Lehrer wären vorsichtiger mit mir umgesprungen, schließlich hätte ihnen mein Vater die Autoleasingverträge, ihre Eigentumswohnungskredite und Bausparverträge vermasseln können. Sogar der Herr Schuldirektor hätte über meine Fehlstunden großzügig hinweggesehen.
So schlecht sieht er gar nicht aus, der Herr Walter, denke ich, als ich meinen Grießembryo zerteile. Stoldering liegt immerhin zehn Autominuten entfernt, da hat der Herr Direktor schon eine rechte Strecke auf sich genommen, um zu speisen. Vielleicht hat meine Mutter ihm ja von mir erzählt, von mirund meinem Freund, der in ihren Augen nichts auf die Reihe bekommt, vielleicht versucht sie so etwas wie eine sanfte Verkuppelung.
Ich lächle Herrn Walter zu. Er hat in Windeseile seine Grießnockerl aufgegessen. Er lächelt zurück.
»Das war vorzüglich«, sagt er zu meiner Mutter und reicht ihr den Teller mit einer angedeuteten Verbeugung. Ich konstatiere: Ein Gentleman der alten Schule, bestimmt kann er auch Linkswalzer und öffnet den Damen die Autotür. Raoul konstatiert gar nichts. Er inhaliert die Suppe, als hätte er drei Wochen nichts zu essen bekommen, und scharrt mit dem Löffel im Teller, selbst als schon lange nichts mehr zu holen ist.
»Sie müssen doch wahnsinnig viel Arbeit haben als Bankdirektor«, sage ich und bemühe mich, gerade zu sitzen, um mein Dekolleté zur Geltung zu bringen. Blöderweise habe ich nicht daran gedacht, ein enges Shirt anzuziehen. Wie immer trage ich die Bluse vom Discounter, die einmal weiß war, eine Pluderhose, Turnschuhe.
»Es ist nicht ganz so schlimm«, antwortet Herr Walter. »Immerhin sind wir zu dritt. Also drei Direktoren.«
»Ach, drei Direktoren?« Ich bin erstaunt.
»Aber du bist der wichtigste«, sagt meine Mutter und stellt einen Topf mit Rindsschnitzeln auf den Tisch.
Herr Walter arrangiert die Stoffserviette auf seinem Schoß neu, eine Verlegenheitsgeste. »Elfriede, das ist zu viel der Ehre«, sagt er.
Raoul sitzt die ganze Zeit daneben wie ein Kind, dem man den Mund verboten hat.
Herr Walter lächelt. Das spornt mich an.
»Und wie ist das so, immer mit Zahlen zu hantieren?«, frageich. Wie immer, wenn ich unter Druck stehe, fallen mir nur Gemeinplätze ein. »Ich bin ja kein Zahlenmensch, leider.«
Nun könnte er sagen: Kommen Sie doch vorbei und schauen Sie sich’s an. Nichts dergleichen. Herr Walter kaut still vor sich hin.
Dann sagt er: »Als Direktor ist man vor allem ein Manager. Da stehen nicht immer die Zahlen im Mittelpunkt. Das ist wie bei einem Zirkusdirektor. Der ist ja auch nicht derjenige, der auf dem Seil tanzt.«
Alle lachen.
»Zirkusdirektor, nein, so was!«, ruft meine Mutter. »Noch irgendwer Püree?«
Jetzt kommt mein Vorstoß.
»Sind Sie auch – ich meine: Sind Sie glücklich?«
Herr Walter legt Messer und Gabel zur Seite und sieht mich an. Man merkt ihm an, dass er um eine passende Antwort ringt.
»Mein liebes Fräulein«, sagt er schließlich. »Glück ist ein großes Wort.«
Damit
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