Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
Vom Netzwerk:
Geräusch zu produzieren, drehe ich den Wasserhahn auf. Einmal nur den Arm ausstrecken, und alles ist in Griffweite: Unsere Zwillingsbademäntel in Regenbogenfarben, die flauschig aussehen, es aber nicht sind; die Wandhaken, diestabil aussehen, es aber nicht sind; das Shampoo, das exklusiv aussieht, es aber nicht ist. Nichts hier hält, was es verspricht.
    Ich krame mit spitzen Fingern in Raouls Necessaire. Drogeriewaren trösten mich. Feuchtigkeitslotion, Fußbalsam gegen Hornhaut, medizinische Zahnpasta, extrascharf. Eine Pinzette, ein Schweizer Messer, ein Beipackzettel ohne Tabletten. Parkemed 500 bei Entzündungen und Schmerzen. Zuunterst ein Holzkamm mit einigen von Raouls Haaren.
    Maja hat mir einen Trick verraten: Man verknotet ein Haar des Partners mit einem eigenen Haar. Das nenne sich »extrakorporale Verschmelzung« und stärke die Beziehung, sagt Maja. Ich habe es versucht, doch mein Haar stieß Raouls Haar ab wie der Körper ein unverträgliches Transplantat. Sein Haar hielt nicht eine Sekunde an meinem, das hätte mir zu denken geben müssen.
    Als ich aus dem Bad komme, steht Raoul mit nacktem Oberkörper im Balkontürspalt und raucht. Ich zähle auf, was wir brauchen: Salat, Tomaten, Salatgurke, Geschirrspülmittel, am besten die 6-Phasen-Tabs mit dem blauen Punkt.
    Raoul sagt: »Die Billigen tun’s auch, die ohne Punkt«, und ich sage, dass es nicht auf den Punkt ankäme, sondern auf die bessere Technologie, und er grinst und sagt: »Was ist denn an einem Geschirrspülmittel schon technologisch.«
    »Dann mach, was du willst«, sage ich und fahre mit der Handinnenfläche über seinen Oberkörper. Es kribbelt. Seit kurzem rasiert er sich die Brust. Der Rasen, auf dem ich mich früher ausgeruht habe, ist gemäht. Was hat er sich dabei gedacht? Ich habe Lust, seine Schädeldecke abzutragen, um die Form seiner Gedanken zu betrachten. Es war gerade seine Natürlichkeit,die ich mochte, und das weiß er. Maja würde sagen: Da stimmt was nicht. Ein Mann verändert sich nicht ohne Grund. Schließlich muss er jede Veränderung rechtfertigen, und kaum etwas fürchtet ein Mann so sehr wie Rechtfertigung.
    Als ihm noch das Brusthaar aus dem Hemd quoll, spielten wir oft Das siebte Flittchen. Dabei spazierte er die Wand entlang und tat so, als beobachtete er spärlich bekleidete Damen, die sich in bodentiefen Fenstern räkeln. Das sah lächerlich aus, aber ich sagte mir: Wenn es nicht lächerlich aussieht, dann ist es keine Liebe.
    Raoul also schritt betont lässig die Wand auf und ab, breitbeinig wie Kapitän Hansen beim Landgang. Die Daumen hatte er in den Gürtel eingehakt, das tat er normalerweise nie. Ich saß währenddessen auf der Couch und wartete geduldig, bis er mit der Begehung fertig war. Manchmal schnalzte er mit der Zunge oder rief den Phantomflittchen Obszönitäten zu. »Ich werde dich ficken, bis du ohnmächtig bist«, oder »Jetzt lachst du noch, Süße, aber warte, bis ich mir dir fertig bin.«
    Für Raoul war entscheidend, die Straßenszene so lang wie möglich hinauszuzögern, um dann – mehr oder weniger zufällig – über mich zu stolpern: das siebte Flittchen.
    Er hatte also vor mir schon sechs Damen eingehend betrachtet, die selbstredend enttäuscht waren, dass ihnen so ein Prachtkerl durch die Lappen ging. Ich solle diebisch-lüstern dreinsehen, forderte Raoul. Diebisch , weil ich ihn ja den anderen wegschnappte – und lüstern , weil ich mich schließlich nicht darauf verlassen konnte, dass er mich auswählte. Spannung bis zum Schluss. Bevor er sich an mir zu schaffen machte, bedachte er mich mit einem Füllhorn aus Versprechungen, wie bei denPhantasienutten stets im Futur formuliert: Ich werde dich lecken, ich werde dein Maul stopfen, ich werde dir den letzten Glauben aus dem Leib ficken, ich werde dieses und jenes. Meistens machte er nichts dergleichen, küsste mich bloß, schüchtern und ungeschickt wie ein Volksschüler. Vor Rührung standen mir die Tränen in den Augen.
    Jetzt fällt es mir wieder ein: Taschentücher, wir brauchen Taschentücher. »Taschentücher«, sage ich zu Raoul. »Dreilagig.«
    »Sechs Phasen, drei Lagen«, sagt Raoul. »Sonst noch was?«
    Er drückt die Zigarette in der Erde des traurigen Gummibaums aus.
    »Um das Fleisch brauchst du dich nicht zu kümmern«, sage ich. »Das besorge ich.«
    Er stutzt. »Warum besorgst du dann nicht auch das andere Zeug? Du hast doch ohnehin nichts zu tun.«
    Kalter Blick. Ich schließe rasch die Knöpfe meiner

Weitere Kostenlose Bücher