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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Überraschung. Ich strecke die Brust heraus.
    »Oh là là, wer ist denn das? Möchten Sie ein wenig Zeit mit mir verbringen, hübsches Fräulein?«
    »Zweihundertfünfzig«, sage ich und bemühe mich, meine Stimme dunkel und verraucht klingen zu lassen. »Sonderpreis für –« Es kitzelt im Hals, und dann lache ich auf. »Soll ich das wirklich sagen? Sonderpreis für Softwaredesigner? Das klingt doch bescheuert!«
    »Du kannst auch sagen: Sonderpreis für einen so attraktiven Gentleman, wie Sie es sind. Noch mal von vorn.«
    Raoul marschiert in die Küche, dann ruft er: »Ich komme!«, so als spielten wir Verstecken. Ich öffne einen weiteren Knopf meiner Bluse.
    Diesmal steuert Raoul direkt auf mich zu. »Na, was haben wir denn da?« Er umrundet den Ohrensessel in Zeitlupe, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. »Ich werde dir geben, was du verdienst, du Flittchen. Morgen wirst du nicht mehr sitzen können, das verspreche ich dir.«
    »Gerne. Heute gibt’s auch einen Sonderpreis für –« Ich pruste los.
    »Attraktive Gentlemen«, zischt Raoul.
    »Attraktive Gentlemen«, sage ich und kneife mir fest in den Handrücken, um nicht wieder loszulachen.
    »Ich glaube, wir kürzen die Eingangsszene«, sagt Raoul und kniet sich vor mir auf den Boden.
    »Beine auseinander«, sagt er forsch. »Und keine Mätzchen.«
    »Keinesfalls«, sage ich. »Sie haben ja dafür gezahlt.« Folgsam lege ich ein Bein über die Armlehne des Ohrensessels.
    Raoul streicht ernst und konzentriert mit beiden Händen über die Innenseiten meiner Oberschenkel.
    »Gefalle ich Ihnen«, frage ich, und: »Wie kann ich Ihnen behilflich sein«, denn ich weiß, wie sehr er es mag, wenn er in diesen Momenten gesiezt wird. Ich fühle mich verrucht und begehrt zugleich.
    »Ich will dich«, sagt Raoul und küsst mein Knie. Dann fasst er von unten in meine Bluse, schiebt die Hand in meinen BH und dreht an meiner Brustwarze wie am Knopf eines Weltempfängers. Der Schmerz ist schneidend, ein heller Ton, der hinter den Augen explodiert, doch ich beiße die Zähne zusammen, denn das war alles, was ich hören wollte: Ich will dich. Dich will ich, nicht Maja. Dich, keine andere. Dich, dich, dich.
    Und schon beuge ich mich zu ihm hinunter, öffne den Zippverschluss seiner Hose und mach mich an ihm zu schaffen, engagierter als jedes Flittchen auf dieser Welt, denn ich habe etwas zu verlieren, das wesentlich mehr wert ist als zweihundertfünfzig Euro.

8
    Manchmal, wenn ich traurig bin und nicht weiß, warum, gehe ich auch ohne Termin in die Gesellschaft für W. und setze mich in den Gang der Langzeitarbeitslosen, im Volksmund Gangway to hell genannt. Der Flur der Wartenden ist mein Fluchtpunkt, hier raste ich, hier spürt mich keiner auf. Ein Ort, an dem die Zeit so langsam vergeht, dass es absurd wäre, eine Uhr aufzuhängen.
    Die meisten Langzeitarbeitslosen lungern herum, selten wird einer aufgerufen. Einige bewegen sich kaum noch, sie atmen ganz flach. Bei manchen bin ich mir nicht sicher, ob sie überhaupt noch atmen.
    Ich betrachte die Langzeitarbeitslosen gerne und ausführlich. Ihre Augen sind unbewohnte Kammern, für die man kein Einrichtungsgeld beantragen kann. Ihre Haut ist wurmstichig, sie leiden wahlweise an Jugendakne oder Altersakne. Es ist ein Merkmal der Langzeitarbeitslosen, dass ihre Haut aktiver ist als sie selbst.
    Ich ziehe mein Notizbuch aus der Hosentasche.
    Charly heute auffällig blass. Verschleppte Grippe?
    Der Lange mit Glatze hat ein Kind mitgebracht, Tochter oder Enkelin. Hält andauernd ihre Hand. Vielleicht doch seine Freundin.
    Viktors Jeans werden immer enger. ZZ-Top-Shirt, das die letzte Mahlzeit dokumentiert. Irgendwas mit Ei.
    Frau Hiltrud, Sekretärin in der Gesellschaft , bemüht sich,den Gang der Langzeitarbeitslosen ansprechend zu gestalten. Sie sieht aus wie eine freundliche Version von Margaret Thatcher und lebt ganz für die Gangway . In Frau Hiltruds Gegenwart fühle ich mich aufgehoben und beschützt, eine Leihomi mit der Extraportion Menschenwärme. Im Gegensatz zu Herrn Othmar betrachtet sie ihre arbeitslosen Schäfchen als erweiterte Familie. Wenn einer plötzlich fort ist, hinweggerafft durch Arbeit, trauert sie ihm richtiggehend nach.
    Frau Hiltrud fühlt sich vor allem für die Dekoration verantwortlich: Frühlingsblumen, Ostereier, Adventskranz, Weihnachtskugeln, künstlicher Schnee. Den Sterbetag von Siegfried Pospischil, Gründer der Gesellschaft für Wiedereingliederung, zelebriert sie alljährlich mit

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