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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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dass die Gesellschaft für Wiedereingliederung es darauf abgesehen hat, ihre Klienten wiedereinzugliedern«, ruft er. »Was sollte das überhaupt bedeuten? Wo hinein sollten sie denn integriert werden, frage ich Sie? Klienten nennen wir sie, ha, ein Hohn! Nichts als Patienten sind sie, denen es an allem mangelt: Benehmen, Bildung, Talent, Lebensgeschick. Null Frustrationstoleranz. Und zu allem Überfluss eine völlig schiefe Selbsteinschätzung.« Herr Othmar stützt seinen Arm in die Hüfte und legt den Kopf schief: »Nein, Herr Othmar, Regalbetreuerin, das ist nix für mich. Schauen Sie sich meine Nägel an, wie soll ich mit diesen Krallen Windeln in Regale schichten, sagen Sie mir das?«
    Die Esothek-Verkäuferin ist ein dankbares Publikum, sie kichert ohne Unterlass, vielleicht hat sie eine Affäre mit Herrn Othmar, und wenn sie abends alleine sind, entzünden sie ein Hexenöl in der Duftlampe und reiben sich gegenseitig die Harmonie-Amulette.
    »Hier«, sagt er und deutet auf den Automaten. »Da drin ist die Wahrheit. Der Heilige Gral. Alles, was man wissen muss.«
    »Bis bald«, flüstere ich. Nur raus hier.
    »Das glaube ich nicht«, sagt Herr Othmar. »Ich arbeite nicht mehr in der Gesellschaft. Finito. Rationalisierungsmaßnahme. Da schauen Sie, was?« Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und blicke ratsuchend auf die Puppe in meiner Hand. Ich stelle mir vor, wie Herr Othmar zwischen den Langzeitarbeitslosen in der Gangway to hell darauf wartet, dass Frau Hiltrud ihm ein Lebenshilfebuch reicht.
    »Es wird schon wieder«, sage ich.
    Herr Othmar lacht. »War schön, Sie zu sehen«, sagt er.
    Einmal noch winke ich Herrn Othmar zu.
    »Wir haben zu danken«, sagt die Verkäuferin.
    »Ja!«, ruft mir Herr Othmar nach. »Wir danken, wir danken auch sehr!«
    Pawel wartet bereits im Auto. Als er mich sieht, startet er den Motor.
    »Wo warst du?«
    Ich zeige ihm die Puppe, die bei Tageslicht noch erbärmlicher und hässlicher aussieht als in der Esothek, ein Puppenleichnam, den man im Dunkel einer Schublade beerdigen sollte.
    »Aha«, sagt Pawel. »Ein Geschenk?«
    »Die ist für mich«, sage ich.
    »Hübsch«, sagt er.
    Während wir aus der Raststation hinausrollen, streichelt er der Puppe über den Baumwollbauch. »Schön weich«, sagt er und lächelt.
    Ich lächle zurück. Raoul hätte die Puppe nicht eines Blickes gewürdigt.
    »Also«, sagt Pawel. »Wo waren wir stehengeblieben?«
    Er sieht in den Rückspiegel und arrangiert seine Frisur mit der flachen Hand. Eine Geste, die ich bereits ein paar Mal an ihm beobachtet habe und die sich gemeinsam mit seinen anderen Angewohnheiten zu einem Bild fügt. Pawel ist klar und deutlich in seinen Gesten, und er bringt zu Ende, was er begonnen hat. Die Entschiedenheit seiner Handlungen steht im Gegensatz zu seinem unentschiedenen Aussehen. Ich betrachte sein Profil. Er ist blass, zu blass für einen Mann seines Alters, fast schon durchsichtig. Ein Urlaub an der Ostsee täte ihm gut. Oder im Hochgebirge, wo die roten Blutkörperchen sprießen. Ich überlege, ob ich ihm von der Begegnung mit Herrn Othmar erzählen soll. Doch bereits als ich mich wieder ins Auto setzte, erschien mir die Geschichte vollkommen surreal.
    »Wir waren beim Thema Verzicht«, sagt Pawel und hält die Verpackung seines Schokoriegels hoch. »Darauf kann ich niemals verzichten, glaube mir.«
    Ich bin überrascht, wie leicht es mir gefallen war, die letzten zwei Stunden nicht an Raoul zu denken. »Lass uns ein Spiel spielen«, sage ich. »Wir zählen auf, worauf wir in unserem Leben niemals verzichten können. Verloren hat der, dem nichts mehr einfällt.«
    Pawel lacht. »Du spielst wohl gern?«
    »Du doch auch«, sage ich und mache es mir im Sitz bequem. Die Wiener Peripherie zieht am Fenster vorüber wie eine ausrangierte Theaterkulisse. Er denkt kurz nach, dann spricht er.
    »Der Blick der Frau, die gerade ihr Baby entbunden hat«, sagt er. »Der Blick, mit dem sie ihr Baby ansieht, wenn man es ihr nach dem Wiegen und Messen wiederbringt. Der Moment, in dem die Hebamme das Baby in die Arme der Mutter legt.Die ausgestreckten Hände der Mutter, ihre offenen Arme. Die Erleichterung, dass alles vorbei ist. Manchmal schleiche ich mich in den Kreißsaal, auch wenn ich keinen Dienst habe. Nur um diesen Blick zu erhaschen. Darauf, Ruth, darauf könnte ich nicht verzichten.«
    Pause.
    »Wie schön.« Meine Stimme ist ganz klein. Damit hatte ich nicht gerechnet. Eine Mischung aus Schmerz und Wehmut. Plötzlich

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