Südbalkon
›Rosenkavalier‹. Deutschunterricht für albanische Flüchtlinge.«
»Ich glaube, ich kann nicht unterrichten.«
»Sie glauben?«
»Ich fürchte.«
»Sie fürchten?«
»Ich bin Legasthenikerin«, sage ich.
Mir ist übel. Raoul sagt immer, dass wir ein zweites Einkommen benötigen. Das klingt, als ob wir bereits über eines verfügten, doch in Wirklichkeit hält uns das Geld der Gesellschaft über Wasser. Was Raoul bei seinen Internet-Projekten an Land zieht, reicht nicht einmal für die erbärmliche Miete unserer Wohnung.
Herr Othmar reicht mir eine Broschüre über die Resopalplatte.
»Vielleicht ist da etwas für Sie dabei.«
Saures Lächeln. Ich habe Lust, ihm ein Baguette quer in den Mund zu stopfen.
»Richten Sie Ihrer Frau liebe Grüße aus, unbekannterweise«, sage ich.
Immer freundlich bleiben, schließlich kann Herr Othmarmit einem machen, was er will: Aktennotiz schreiben, Geld streichen oder überhaupt aus der Gesellschaft hinauswerfen, denn sein ist die Kraft und die Herrlichkeit, und alle sagen ja und amen.
Ich laufe die Lisztstraße entlang und fühle mich beschmutzt. Die Kinder sind fort, weggespült in die Kinderzimmer, sediert mit Super-RTL. Maja ruft an. Wir verabreden uns im Café Kurbel. Im Kaminsky-Park wimmelt es von Rentnern. Sie rotten sich in Grüppchen zusammen und rauchen, manche halten Bierflaschen in den Händen wie plötzlich vergreiste Teenager. Wenn ich etwas von Frau Weinzierl gelernt habe, dann ist es der Respekt vor dem Egoismus des Alters. Wenn unendliche Bedürfnisse auf das Bewusstsein der Endlichkeit treffen, ist Schluss mit lustig. Immer wieder unterbrach Frau Weinzierl den Klavierunterricht und wies mit der rechten Hand, mit der sie sonst den Takt klopfte, auf das Foto des Papstes. »Johannes«, sagte sie, als handelte es sich um einen alten Kegelkumpel, »Johannes, hör nicht auf das Geklimper der verirrten Schäfchen, hör auf die reine Musik des Herzens.« Dann aktivierte sie den Lenco-Plattenspieler und legte einen zerkratzten Schubert auf. Das war das Signal, dass der Unterricht beendet war. Ich kam nie über Seite zwölf von Czernys Klavierschule hinaus.
Maja ist bereits da. Sie hält ihr schönes Gesicht in die Spätsommersonne.
»Schau mal, graue Panther«, sagt sie und nickt in Richtung Festwiese. »Wir sind umzingelt.« Sie lacht.
Ich habe große Lust, etwas zu zerreißen, zu verbiegen oderzu zerstören, und ärgere mich, dass ich nicht mehr rauche, da war es mir zumindest möglich, mir zu schaden, wann immer ich wollte. Die Kellnerin bringt Zahnstocher. Ich fahre damit den Zahnfleischrand entlang, bis es kitzelt.
»Was ist los«, fragt Maja. Sie sieht mich an und hebt die Augenbrauen. »Du warst wieder bei dieser Gesellschaft , gib’s zu.«
Ich bestelle ein Glas Leitungswasser. Kalt.
Zwei Tauben fliegen nacheinander von der Wiese auf, um sich gleich wieder auf ihr niederzulassen. Ich wusste nicht, dass es Unentschlossenheit auch im Tierreich gibt.
»Warum lässt du das nicht bleiben, Ruth? Georg bringt dich bei der Bank unter.«
Jetzt fängt das wieder an. Maja macht es sich einfach, wie immer.
Ich sage: »Ich kann doch ein Sparbuch nicht von einem Girokonto unterscheiden, und das weißt du.«
Maja scharrt mit ihren Pumps im Kies.
»Vielleicht kann ich dir helfen«, sagt sie. »Wenn du willst.«
Sie sieht mich an, zieht ein schmales Etui aus ihrer Handtasche und entnimmt ihm eine Karte. Goldene Lettern auf einer Art Büttenpapier.
Maja Preblauer
Dipl. Existenzberaterin
Wotangasse 17/3 und so weiter.
Das kann nur ein Witz sein.
»Ex-is-tenz-be-ra-tung«, sage ich. Ich lasse mir jede Silbe auf der Zunge zergehen.
»Nicht, was du denkst«, beeilt sich Maja zu sagen. »Ich bin jetzt keine Psychotante oder so. Ich coache Menschen wie dich und mich, die ihre Karriere starten.« Jovialer Tonfall. Sie beugtsich vor, stützt ihre Ellenbogen auf den Cafétisch, in ihren Augen blitzt etwas auf, das mir Angst macht.
»Ich hab meine Berufung gefunden«, sagt sie. »Endlich kann ich anderen helfen. So richtig. Glück verbreiten. Diese Dinge.«
»Glück«, sage ich. Das Wort scheppert in meinem Mund.
Georg habe ihr den Lehrgang gezahlt und darauf geachtet, dass »die Sache«, wie er es nenne, binnen zweier Wochenenden beendet sei. Er kenne den Akademieleiter, ein alter Freund aus Studientagen, alles ging »eher informell« über die Bühne, sagt Maja. Sie sei sich wohl bewusst, dass sie »mit dieser Sache« niemals Geld scheffeln würde, aber.
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