Südbalkon
den Brustwarzen, die sich durch das Wickelkleid durchdrücken wie Gewehrläufe, die hochhackigen Schuhe.
Wir schlendern die Josefstädter Straße hinauf. Maja betrachtet ihr Spiegelbild in jedem Schaufenster. Die beiden »a« in ihrem Namen haben volle Wirkung entfaltet: Maja ist der weiblichste Mensch, den ich kenne. Triple X, eine super female mit Tendenz zur vorzeitigen Eierstockermüdung. Trübe Erinnerung an eine Genetik-Vorlesung. Männliche Nachkommen dieser Superfrauen sind anfällig für das Klinefelter-Syndrom mit seinen seltsamen Ausprägungen: ungewöhnlich lange Arme und Beine mit erröteten beziehungsweise verfalteten Ellenbogen. Ich wünsche mir, dass Maja ein Kind bekommt, schon wegen dieser verfalteten Ellenbogen.
»Du musst transparenter werden«, sagt Maja plötzlich und bleibt stehen. »Schau da hinein!«
Ein Benetton-Laden. Beige Cordhosen, karierte Hemden.
»Soll ich das anziehen?«
»Die Scheibe meine ich.« Sie klopft dagegen. »Wenn du das Licht durch dich hindurchlässt, wirst du transparent für das Schöne. Und andere können es sehen. Klar, eine dunkleScheibe ist ein Schutz. Aber da kommt kein Licht durch. Lass Raoul an dich heran! Lass ihn durch dich hindurchscheinen. Transparenz und Drama – das ist das ganze Geheimnis. Und sei ein bisschen damenhafter, zickiger. Reg ihn auf.«
»Aber Raoul mag keine – Damen«, sage ich zögernd.
»Unsinn. Du magst keine sein«, sagt Maja.
Sie überlegt. »Alternative: Du suchst dir einen zweiten Mann«, sagt sie. »Schwuppdiwupp wird er dich anbeten wie nie zuvor.«
Ihre Großmutter, sagt sie, habe ihr ganzes Restleben auf ihren Mann gewartet, der seit dem Krieg verschollen war. Bei jedem Klingeln des Briefträgers sagte sie: »Das wird er sein.« Bis es zum geflügelten Wort innerhalb der Familie wurde: Das wird er sein. Irgendwann wurde er für tot erklärt und bekam ein Holzkreuz auf dem Friedhof für Kriegsgefallene.
»Wie kannst du das vergleichen? Raoul ist nicht im Krieg verschollen.«
»Bist du sicher?«, sagt Maja. »Jedenfalls ist es so: Sobald du dich vollkommen auf einen konzentrierst, geht die Welt unter, wenn du ihn verlierst. Deswegen immer schön die Fühler ausstrecken. Auf Empfang bleiben.« Sie plane auch mehr als ein Kind. Mindestens zwei. »Mit einem Kind«, sagt sie, »kann schon mal was schiefgehen, und dann steht man da mit leeren Händen.«
Samson heißt eigentlich Franz Hubmann. Er sieht aus wie ein Indianer: lange dunkle Haare, gegerbte Haut. Er ist der einzige Fleischer mit langen Haaren, den ich kenne. Der Winnetou des Roastbeefs. Als wir den Laden betreten, läuten kleine Glöckchen zur Begrüßung. Alles hier drin ist noch originalfünfziger Jahre, selbst die über jeden Verdacht erhabenen Hausfrauen mit ihren geflochtenen Einkaufskörben und Gesichtern, die an rohe Rindersteaks erinnern. Dunkelrote Wangen, schwabbelnd, leicht durchzogen. Es riecht nach froher Erwartung und Kartoffelsalat.
Samson trägt meist Rossschwanz. Heute hat er eine Art Knoten am Hinterkopf. Er ist Fleischer in vierter Generation und träumt von einem Jaguar XKR Coupé. Seine Art, Schnitzel zu klopfen, hat etwas Unerlöstes. Ich bin froh, dass es nichts gibt, das ich in der vierten Generation tun muss. Ich versage in der ersten und etabliere damit ein vollkommen neues Muster innerhalb der Familie.
Wir stehen artig vor der Vitrine in der Schlange und vertreiben uns die Zeit mit Fleischfernsehen. Heute im Angebot: Rinderhack, 150 Gramm 4,99 Euro. Bio-Lungenbraten Mittelstück, 44 Euro/Kg. Alles zu teuer. Schweinsschnitzel sind das höchste der Gefühle. Eine angemessene Wiedergutmachung nach der Zumutung in der Gesellschaft für W.
»Die Damen?«, sagt Samson und nickt uns freundlich zu.
Maja stößt mich mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Da hast du’s«, flüstert sie. »Er hat Damen gesagt.«
»Zwei Schweinsschnitzel«, sage ich. »Dünn geklopft.«
»Wie ein Blatt Papier«, sagt Samson und macht sich an die Arbeit.
Maja flüstert: »Stell dir vor, er klopft damit deinen Hintern windelweich. Mit diesem Ding.« Sie kichert. Samson schlägt die Schnitzel einzeln in Wurstpapier ein und fabriziert zwei flache Päckchen, die ich entgegennehme wie Reliquien.
Maja hält sich mit dem Einkaufen zurück. Georg hole abends meist eine Kleinigkeit vom Feinkostladen, sagte sie,Gänseleber, Saiblingskaviar, Olivenbrot. Wegen der Figur isst sie ohnehin nur wie ein Vögelchen.
Als wir auf die Straße treten, ist der Himmel schwarz. Maja
Weitere Kostenlose Bücher