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Südbalkon

Südbalkon

Titel: Südbalkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Straub
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Tage lang verstimmt. Barbara wollte unbedingt Christin werden, durfte aber nicht. Das aufmüpfige Frauenzimmmer gab nicht auf, was einen Rattenschwanz an Bestrafungen nach sich zog. Barbara wurde in einen Turm gesperrt, gemartert und gepeinigt, misshandelt, bis ihr die Haut in Fetzen vom Leib hing, sie wurde mit Keulen geschlagen, mit Fackeln gefoltert und zum Tode verurteilt. Bevor ihr Vater sie höchstpersönlich enthauptete, schnitt er ihr sicherheitshalber noch die Brüste ab. Immerhin: Ihren Job als Märtyrerin hat sie hervorragend erledigt.
    »Ich wünsche mir, dass auch Sie für etwas brennen«, sagt Herr Othmar.
    Ich brenne nicht, möchte ich sagen. Ich erfülle sämtliche Brandschutzauflagen, meine psychische Einrichtung ist mit Teflon beschichtet. Vor allem seit der Sache mit dem Kind, aber das hat in Zimmer A084 nichts verloren.
    Dass ich mich zweimal die Woche in der Gesellschaft für Wiedereingliederung blicken lasse, reiche nicht aus, um meinen Veränderungswillen zu demonstrieren, sagt Herr Othmar.
    Was weiß dieser Mann von meinem Willen? Herr Othmar führt ein kindersicheres Leben ohne Stolperfallen und scharfe Kanten. Eine Familie wie aus dem Handbuch für kooperative Staatsbürger. Zwei Mädchen, Zwillinge. Mollig, trotzdem Kunstturnerinnen. Eine Frau, Cécile, eine aus Paris importierte Juristin, die seit dem Umzug nach Wien die Zweifamilienhaushälfte saisonal umdekoriert.
    Herr Othmar zeigt mir ein Foto: Cécile und er im Jardin de Luxembourg. Sie hakt sich bei ihm unter, beide lachen hinauf in den Pariser Himmel. Er: füllige Haare. Sie: füllige Figur. Alles prall vor Glück. Das war 1992, sagt Herr Othmar und betrachtet das Foto, als sähe er es das erste Mal.
    Ob Cécile Frankreich nicht vermisse, frage ich höflichkeitshalber, und er antwortet: »Wo denken Sie hin, wir essen frischen Gervais und Camembert«, doch so wie er es ausspricht, klingt es nach gammeligen Käseecken.
    Herr Othmar sagt: »Worin sind sie durchschnittlich? Der Markt braucht keine Spezialisten, er braucht solides Mittelmaß.«
    Ich tue so, als würde ich nachdenken. Dabei sehe ich knapp an seinem Schädel vorbei und presse die Lippen aufeinander. Hin und wieder nicke ich, um den Fortgang des Denkprozesses darzustellen. Abschließend sehe ich Herrn Othmar in die Augen.
    »Ich weiß nicht«, sage ich. »Ehrlich. Keine Ahnung.«
    Ich muss aufpassen, denn jedes Wort kann eines zu viel sein, und im Handumdrehen falle ich aus dem Wiedereingliederungsprogramm heraus und in das Selbständigen-Training hinein. Das gilt es tunlichst zu vermeiden, denn dort wird man dem freien Markt zum Fraß vorgeworfen, damit die Gesellschaft für W. einen raschen Erfolg verbuchen kann. Von vielen dieser neuen Selbständigen hört man nie wieder etwas. Sie stranden im Sibirien der Ökonomie, dort, wo Fuchs und Hase einander die Pfote schütteln. Seit ich das erfahren habe, achte ich penibel darauf, mich auf Aussagen zu beschränken, die mich in der Zwischenzone der Gesellschaft festschrauben.
    Herr Othmar seufzt. In seinem Blick mischt sich Überdruss mit Mitleid.
    »Was machen Sie gern?«, fragt er und nestelt an seinem Oberlippenbart. »Wenn Sie es sich aussuchen könnten. Freie Hand. Also, wofür würden Sie sich entscheiden?«
    Ich überlege kurz. »Todesanzeigen«, sage ich. »Todesanzeigen kann ich schreiben.«
    »Sonst noch etwas? Verkaufen Sie gern? Können Sie sich vorstellen zu verkaufen?«
    Herr Othmar trägt ein kariertes Hemd. Manschettenknöpfe. Passende Krawatte in Beige. Ein Verwalter des Scheiterns. Ein Beamter im Schloss der Versager. Die Gesellschaft für W. kann auf einen Mitarbeiter wie ihn stolz sein. Tut seine Pflicht von acht bis fünf. Ich denke mir: Er muss mich das fragen. Er macht das bestimmt nicht gerne. Er muss einfach.
    Nein, sage ich. Es täte mir leid, aber ich könne nicht verkaufen. Ich bin so programmiert, dass ich nur Leute belügen kann, die ich kenne. Also Raoul oder Herrn Othmar. Bei Fremdenfunktioniert das nicht. Niemals brächte ich ein »Also, dieses Kleid steht Ihnen ganz ausgezeichnet« über die Lippen. Zwischen falschen Komplimenten anorektische Schaufensterpuppen neu ankleiden – womöglich noch im Boutiquenschlauch Monique –, nein, bei aller Liebe.
    »Was macht die Familie?«, frage ich, um ihn von der Enttäuschung abzulenken. Er wiegt den Kopf hin und her, ohne die Augen vom Bildschirm zu lösen.
    »Très bien, très bien. Was sagen Sie dazu: zwanzig Wochenstunden im Flüchtlingsheim

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