Südbalkon
Das Gefühl, anderen helfen zu können, das sei, ach. Verstehst du?
Ich nicke und bemühe mich einmal mehr, ihr das Leben zu gönnen, das sie gemeinsam mit Georg geheiratet hat. Ist Madame gelangweilt, geht sie einfach ein wenig eigenes Geld verdienen. Ich bewundere Georg für seine maßlose Geduld. In meinen Augen ist er der absolute Volltreffer. Georg liebt Maja, aber Maja liebt nur sich. Georg ist nicht schön, aber seine Hässlichkeit hat etwas Rührendes. Wann immer ich Georg begegne, muss ich gegen meinen Kümmer-Drang ankämpfen. Maja hingegen kümmert sich ausschließlich um sich selbst. Georg ist als potentieller Geld- und Samenspender willkommen, mehr nicht. Wenn nicht er, dann ein anderer.
Wir trinken und schweigen.
»Woran denkst du«, sagt Maja.
»Bist du ehrlich zu Georg?«
»Natürlich nicht«, sagt Maja. »Ehrlichkeit ist was für Feiglinge.«
Ich frage mich, auf welchen Werten jene Existenzen fußen, bei deren Gründung sie ihren Kunden behilflich ist.
»Und wenn du mich berätst«, sage ich. Schlimmer als mit Herrn Othmar kann es nicht kommen. »Was muss ich zahlen?«
»Du? Zahlen?« Sie lacht auf. »In Naturalien, Süße«, sagt sie. »Du erzählst mir Anekdoten aus deinem Leben. Hast du wieder vor dem Pflegeheim herumspioniert?«
»Krankenhaus«, sage ich.
»Du bist der Hammer«, sagt sie und schenkt mir einen Blick, in dem so etwas wie Hochachtung mitschwingt. »Ich hoffe, Raoul ist sich dessen bewusst.«
»Das hoffe ich auch«, sage ich.
Sie streichelt über meinen Unterarm. »Höre ich da eine Unsicherheit heraus?«
»Er benimmt sich – komisch«, sage ich.
Maja scheint nicht im mindesten überrascht. »Das ist Phase vier in einer Beziehung. Ganz normal. Beide orientieren sich nach außen, Symbiose beendet. Ganz ehrlich: Sei froh.«
Die Existenz-Expertin. Verbreitet Hoffnung und Zuversicht.
»Ist das bei euch auch so?«
»Bei uns? Puppe, bei uns sind längst die apokalyptischen Reiter eingezogen. Verachtung, die Schwefelsäure jeder Beziehung. Georg zieht sich zurück, aber das nützt ihm auch nichts.« Sie zeigt mir ihre Krallen.
»Und?«
»Nichts und. Das wird ausgesessen.«
Sie sieht sich um.
»Los, spielen wir eines deiner Spiele«, sagt sie. »Ideale Bedingungen heute.«
Sie entscheidet sich schnell. »Der da«, sagt sie und deutet auf einen Mann mit Glatze.
Ich sehe ihn mir genauer an. Er macht einen robusten und gesunden Eindruck. Aus jeder Geste spricht die Freude über seine unglaublich hohe Lebenserwartung, die er mit Reisen und Golfplatzbesuchen pflastern wird. Er trägt eine Allwetterjacke in Neongrün und fotografiert seine Frau vor der Büste von Franz von Suppé.
»Mitte, Ende sechzig«, sage ich. »Prostataleiden im Anfangsstadium. Heißt Alexander. Nein. Berthold. Er hat so etwas Bertholdhaftes. Wie er an seiner Kamera schraubt, ganz ein Genauer. Die Tochter der beiden heißt Elisa oder Jana, irgendwas Modernes. Seine Frau muss Helga heißen. Andere Namen ausgeschlossen. Seit frühester Jugend leidet sie am Überraschungsei-Syndrom. Glaubt, das Leben hält noch einen handbemalten Märchenprinzen bereit. Aber nichts da. Nur fade Kleinkindschokolade, jeden Tag aufs Neue. Sie wollte Malerin werden. Utopisch, sieh sie dir an. Durch und durch kleinkariert bis in die letzte Faser ihrer Haushaltsschürze. Die einzige Überraschung in ihrem Leben wird Bertholds Prostatakrebs sein. Mit Kapseldurchbruch.«
Die Sache mit dem Überraschungsei-Syndrom ist mir kürzlich eingefallen, weil ich befürchtete, selbst daran zu leiden. Als ob sie meine Gedanken lesen könnte, fragt Maja, was ich mir denn vom Leben erwarte.
Ich hätte mir meine Erwartungen abtrainiert, sage ich.
Wie das ginge, fragt sie, und ich sage, dass ich jeden Morgen in den Spiegel sehe und sage: Mehr kriegst du nicht. Das ist zwar nicht wahr, aber die Idee gefällt mir.
Maja sieht mich entgeistert an. »Wir sollten zahlen«, sagt sie.
Nun, da die Senioren abgedampft sind, wirkt der Kaminsky-Park, als hätte eine große Hand zusammengeräumt. Alle Bäume und Sträucher wieder an ihrem Platz, der Rasen glattfrisiert. Jetzt lässt sich sogar ein Muster erkennen, eine Bepflanzungsstrategie, eine große Idee.
Wir gehen einen Kiesweg entlang. Zwei junge Männer kommen uns entgegen. Ich fühle mich gemustert und straffe augenblicklich meine Haltung, bis ich enttäuscht bemerke, dass sie Maja anstarren, nicht mich. Ihren extravaganten schwarzen Bob, den sie trägt wie eine Krone, die spitzen Brüste mit
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