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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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den Fotos, die ich betrachtete, war Soraya entweder allein in verschiedenen Altersstufen zu sehen oder gemeinsam mit ihrem Vater, und immer lachten die beiden oder winkten oder zogen Grimassen oder Soraya blickte als Mädchen verträumt in die Kamera, fütterte Tauben auf dem Markusplatz oder prostete ihrem Vater mit einer Eistüte zu.
    »Erklären Sie uns das Leiden Ihrer Frau, Herr Roos!«, sagte ich.
    Ich hatte das letzte der Bilder, das ich mir angeschaut hatte, wieder hingestellt, war zur Tür gegangen, hatte sie geschlossen und mich dagegen gelehnt. Jeder andere hätte darauf reagiert und eine Bemerkung gemacht, nicht so Emanuel Roos. Er sah nur kurz zu mir her, scheinbar ungerührt, mit gespreizten Beinen saß er zurückgelehnt im Sessel, die Hände im Schoß, wie vorher, leise keuchend, mit einem ausdruckslosen Gesicht.
    »Das Leiden meiner Frau war unergründlich«, sagte er.
    »Es hatte keinen Grund. Es ist sinnlos gewesen. Meine Frau litt an der Liebe meiner Tochter zu mir und meiner Liebe zu meiner Tochter. Wenn Sie meine Tochter gekannt hätten, würden Sie mich verstehen. Sie würden verstehen, dieses Mädchen, dann diese Frau, sie verdiente alle Liebe, alle, zu der Sie fähig sind und darüber hinaus.«
    »Beschreiben Sie uns Ihre Tochter, Herr Roos!«, sagte ich.
    »Nicht äußerlich, anders.«
    »Nicht äußerlich! Äußerlich war sie schön, aber das sind viele Mädchen. Sie hatte ein erhabenes Wesen, und dieses erhabene Wesen wollte ich von Anfang an pflegen und fördern und schützen. Und sie wollte, dass ich sie pflege und schütze und fördere, schon als Kind. Aber was hätte ich da tun sollen? Als Kind! Man hat die Pflicht, das Kind, das man erzieht, gedeihen zu lassen, in Freiheit und Selbstbestimmung, man darf das Kind nicht zu etwas zwingen, was es nicht will. So wird man ein Verbrecher.«
    »Ein Verbrecher sind Sie nicht gewesen«, sagte ich. Ich hatte keine Erklärung für diesen Satz, ich wusste in diesem Moment nicht, was ich damit bezweckte, was ich damit meinte, und ob dieser Satz nicht dem widersprach, was ich eigentlich dachte. Der Satz entwischte meinem Mund.
    »Ich war nie ein Verbrecher«, sagte Roos.
    »Ich habe dieses erhabene Wesen respektiert, ich habe mich ihm unterworfen. Und das Wundervolle war, meine Tochter, Soraya, bemerkte meine Unterwerfung schon als junges Mädchen, sie mag elf gewesen sein, zehn vielleicht, vielleicht neun, sehr jung war sie und klug und sie hatte die Begabung, in mich zu sehen, zu sehen, wie ich innerlich vor ihr kniete wie vor einer Königin. Und was tat sie? Sie nahm meine Hand und richtete mich auf. Das hat sie getan. Und dann stand ich auf, und sie erlaubte mir, sie zu berühren.«
    Ich sagte nichts. Martin beobachtete Roos, unhörbar schrieb er ein paar Wörter auf, und der alte Mann nahm nichts davon wahr, er versank in der Vergangenheit seiner Existenz und existierte dadurch erst recht. Als er weitersprach, glänzten seine Augen, und seine Stimme klang kräftig und leidenschaftlich.
    »So etwas zu empfinden«, sagte Roos, »das führt Sie Gott näher. Ich betete und dankte Ihm, und neben mir kniete meine Tochter und betete ebenfalls. Obwohl sie die Erhabene war und ich ihr Untergebener, erlaubte sie mir alles. Das ist lieben, Herr Kommissar. Das ist das Lieben, das kaum jemand kennt. Und sich diesem Lieben zu verweigern wäre ein Frevel, ein Vergehen. Es wäre unnatürlich, diesem erhabenen Begehren nicht nachzugeben. Sie werden es besser wissen als ich, dass die meisten Menschen ein unnatürliches Leben führen, aus vielen Gründen, sie gewöhnen sich daran. Das hätte ich nicht geschafft. Und ich wollte es nicht. Ich durfte dieses Geschenk nicht zurückweisen. Das hätte mir Soraya nie verziehen.« Ich wollte ihn fragen, wann er begonnen hatte, mit seiner Tochter zu schlafen, doch er kam mir zuvor. Und ich war sofort erleichtert darüber und begriff nicht, warum.
    »Sie war zwölf, als sie mir erlaubte, sie zu berühren, aber ich sagte ihr, ich würde es nicht tun. Sie bettelte darum, ich tat es nicht. Nein. Alles andere tat ich, das nicht. Oft trafen wir uns nach der Schule, sie führte mich an stille Plätze, sie schenkte mir Geduld und Nachsicht. Sie hatte Freude an meinem Anblick, unsagbare Freude. Und ich hatte Freude, wenn sie mir von ihren Freunden erzählte, von ihren ersten Abenteuern. Mit vierzehn schlief sie mit einem Jungen, der vier Jahre älter war als sie. Sie war sehr zufrieden mit ihm, und er schrieb ihr Briefe, sie

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