Süden und das Geheimnis der Königin
von früher, auch die Teppiche, alles. Früher hatten wir vier Zimmer…«
»Ein Zimmer für Ihre Tochter«, sagte ich.
»Sie hatte das größte.« Roos gab einen kehligen Laut von sich, stemmte die Hände auf die Sessellehnen und stand mit einem Ruck auf. Er hustete, nahm ein Taschentuch aus der Hose und tupfte sich den Mund ab.
»Ich bekomm manchmal keine Luft, wenn ich sitze. Stört es Sie, wenn ich ein paar Schritte mache?« Er ging los, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, das Taschentuch in einer Hand zusammengeknüllt.
»Sie haben uns damals kein Wort davon gesagt, dass Sie Franz Grosso kannten«, sagte Martin.
»Der Mann war nicht wichtig.« Roos hielt einen Moment im Gehen inne. Dann machte er einen Schritt und blieb wieder stehen.
»Der Mann war nicht wichtig, außerdem hatte er mit dem Verschwinden von Soraya nichts zu tun.«
»Nein«, sagte ich.
»Der Italiener hatte etwas damit zu tun, der andere Mann.«
»Welcher andere Mann?«
»Ein Freund von Grosso«, sagte ich.
»Davon weiß ich nichts.« Roos schien sich an das Taschentuch in seiner Hand zu erinnern, er betrachtete es und steckte es dann mit einem grimmigen Blick ein.
»Sie belügen uns schon wieder«, sagte Martin.
»Warum sind Sie hier?«, fragte Roos und sah uns beide an. Zwischen ihm und uns schien sich der Abstand zu vergrößern, ohne dass wir uns bewegten, das Zimmer weitete sich, und ich musste unwillkürlich zu den Fotografien schauen. Und weil ich die unheimliche Verschiebung der Perspektive nicht aushielt und die Vorstellung, ich hätte all die Jahre, in denen dieser Fall ungelöst in unseren Akten lagerte, eine jämmerliche Figur als Polizist abgegeben, mich fast schreien ließ, ging ich hinüber und nahm eines der gerahmten Bilder in die Hand.
Auf dem Foto stand Emanuel Roos im Alter von etwa fünfundfünfzig Jahren neben seiner Tochter, die demnach Mitte zwanzig gewesen sein musste. Aus den Akten ging hervor, dass Maria Roos bei Sorayas Geburt achtzehn Jahre alt war, ihr Vater achtundzwanzig. Vater und Tochter lachten, und Emanuel Roos hatte den Arm um Sorayas Schulter gelegt. Die Sonne schien ihnen ins Gesicht und hinter ihnen blühte der Rhododendron.
»Nein«, sagte ich.
»Wir wissen nicht, warum wir hier sind. Sagen Sie es uns, Herr Roos!«
»Dass einer verhungert, der mit meiner Tochter bekannt war, irritiert Sie«, sagte Roos, schob die Gardine beiseite und sah hinaus.
»Wir sind nicht über den Toten auf Ihre Tochter gestoßen«, sagte ich. Aus einem merkwürdigen Grund schaffte ich es nicht, das Foto wieder hinzustellen.
»Sondern über Ewald Sturm, den Kellner Wolfi.«
»Der Wolfi«, sagte Roos, wandte sich vom Fenster ab und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
»Der war versessen auf meine Tochter. Der rief mitten in der Nacht an, um sie zu sprechen, der brachte seine Liebesbriefe persönlich vorbei, der konnte an nichts anderes denken. Er tat mir Leid.«
»Warum?«, sagte ich.
»Weil Soraya ihn mochte und sonst nichts. Sie mochte viele Leute. Männer. Sie war eine schöne, eine majestätische Frau, sie wurde angehimmelt.«
»Vielleicht ist sie immer noch eine majestätische Frau«, sagte ich.
Roos zeigte nicht die geringste Reaktion.
»Sie ist tot. Jemand hat sie entführt und ermordet, zweifeln Sie daran?«
»Wir haben keine Hinweise«, sagte Martin wahrheitsgemäß.
»Aber ich weiß es.«
»Haben Sie sie ermordet?«, fragte Martin.
»Nein«, sagte Roos. Er machte einen Schritt ins Zimmer, scheinbar unschlüssig, ob er sich setzen oder noch eine Runde drehen sollte. Trotz seines Übergewichts und seines Alters wirkte er in seiner teuren, perfekt sitzenden Kleidung beinah sportlich, auf jeden Fall nicht behäbig oder tatterig.
»Der Italiener«, sagte Martin.
»Wer ist dieser Mann?« Roos strich sich über die Krawatte.
»Ich habe ihn nicht kennen gelernt, das ist die Wahrheit. Soraya hat mir von ihm erzählt. Sie hat mir von allen ihren Verehrern erzählt. Auch von einem gewissen Pack oder Pick, der dann überfahren wurde.«
»Brick«, sagte Martin.
»Der Wirt der Gaststätte ›Bärenwirt‹.«
»Wusste Ihre Tochter, wer ihn überfahren hat?«, fragte ich.
»Ja«, sagte Roos. Er machte eine Pause, in der er keuchte und Probleme hatte, normal zu atmen.
»Sie wusste es, sie sagte es mir aber nicht. Sie konnte verschwiegen sein. Ich war mir aber sicher, dass es ihr Verehrer Wolfi war, der Kellner, der hätte doch für sie gemordet. Solche sind so.«
»Solche Männer?«,
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