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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Vermutlich nestelte er jetzt an seinem Halstuch.
    »Und wenn ich den Mann inzwischen gefunden hätte?«, sagte ich.
    Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen in der Leitung.
    »Ich hab der Reporterin gesagt, wenn sie bis halb sechs nichts von mir hört, kann sie das Grauke-Bild drinlassen.«
    Ich hörte ihn rauchen.
    »Ich kann das nicht leiden, dass du mich zu Hause anrufst und mich anmachst. Ich hab die Verantwortung, ich muss dich nicht fragen, was ich veröffentlichen lasse und was nicht. Und jetzt muss ich meine Kinder ins Bett bringen!«
    »Gute Nacht«, sagte ich. Er hatte das Gespräch schon beendet.
    »Was sagt er?«, fragte Sonja. Ich schüttelte den Kopf. Endlich schlich Martin in seinem alten braunen Opel heran, einem ausrangierten Dienstwagen. Er parkte direkt vor dem Haus.
    »Hallo«, sagte er. »Wie gehts dir?« Er meinte Sonja. Sie sagte: »Gut. Wissen Sie, warum wir hier sind?«
    »Du ist okay, oder?«, sagte Martin. Er war blass. Und er trug einen seiner widerstehlichen Rollkragenpullover.
    Ein Prozent Wolle, neunundneunzig Prozent Synthetics.
    Und obwohl er die meiste Zeit fror, rochen diese Dinger immer leicht nach Schweiß.
    »Was machen wir hier?«, fragte er mich.
    Ich erklärte den beiden, wen wir besuchten, und was sie vielleicht sagen sollten. Dann klingelte ich.
    »Süden.«
    Der Summer ertönte.
    »Was wollt ihr denn?«, sagte Bettina Eberl, die auf der Abkürzung Bettsy bestand.
    »Wir sind die drei Weisen aus dem Abendland«, sagte ich. »Hast du mit deiner Mutter gesprochen?«
    »Was geht dich das an?«, blaffte sie. Ihr Vater kam zur Wohnungstür.
    »Stehen Sie doch nicht da draußen rum!«, sagte Jürgen Eberl.
    Der Familienrat tagte in der Küche. Helle Holzschränke, Chromstühle, weiße Decke auf dem Tisch, eine Flasche Mineralwasser in einem Kühlbehälter aus Kunststoff, in den üblicherweise der Wein gehörte. Dafür tranken sie das Wasser aus Weißweingläsern. Durch das große Fenster fiel Abendlicht. Auf dem Tisch brannte eine weiße Kerze in einem mit Sand gefüllten Glas. Sibylle Eberl hatte ein gelbes Kleid an, das ihr Gesicht noch blasser aussehen ließ. Sie hob kurz den Kopf, als wir hereinkamen, und starrte dann weiter über den Tisch. Bettsy war im Flur geblieben.
    »Was darf ich Ihnen anbieten?«, sagte Dr. Eberl.
    »Nichts«, sagte Sonja. Sie beugte sich zu Sibylle hinunter. »Wie gehts Ihnen?«
    »Besser«, sagte Sibylle leise. Ich ging in den Flur.
    »Hast du mit deiner Mutter geredet?«, sagte ich. Das Mädchen blies mir ins Gesicht.
    »Komm her!«, sagte ich.
    »Was?«
    »Komm her!«
    Sie bewegte sich nicht. Wir standen uns gegenüber, sie in Schwarz, ich in Schwarzweiß. Minutenlang. Dann tauchte Martin auf.
    »Das ist Heuer, mein Kollege«, sagte ich.
    »Und was macht der nächstes Jahr?«, sagte Bettsy. Ich lächelte. Sie grinste.
    »Dasselbe«, sagte Martin. »Werden Sie bloß nie Beamtin!«
    »Echt nicht, Mann, ich mach die Party und sonst nichts. Sonst noch Fragen?«
    »Ja«, sagte er, »warum haben Sie Ihrer Mutter erzählt, Sie nehmen Drogen, das ist doch gelogen!«
    »Das ist die Wahrheit. Ich nehm seit zwei Jahren Drogen und keiner hats gemerkt.«
    »Was nimmst du denn?«, fragte ich.
    »Geheimnis, Südi.«
    Ich sagte: »Dann hast du also mit deiner Mutter geredet.«
    »Bist du mein Psychiater?«, sagte sie. Sie nahm keine Drogen. Sie trank Alkohol. Sie wollte das Spiel am Laufen halten. Die Lügen waren ihr Kick, sie berauschte sich am Lügen.
    »Wie gehts deiner Freundin?«, sagte ich.
    »Beschissen!«, sagte sie laut. »Der Typ hat sie vergewaltigt, das Schwein. Den bring ich um, und du wirst mich nicht dran hindern, Südi!«
    »Zu spät«, sagte ich.
    Die Nachricht hatte ich vorhin vom Bereitschaftsdienst erhalten.
    »Was?«, sagte Bettsy.
    »Er sitzt, dein Silvio. Wir haben ihn festgenommen. Du kannst gegen ihn aussagen.«
    »Da scheiß ich drauf! Ich kenn den nicht. Ich bring ihn um, kapiert? ›Mein Silvio‹! Spinnst du?«
    »Hast du nicht Heimweh, wenn du da draußen bist, wochenlang?«, sagte ich.
    »Hä?« Sie tat, als wäre ich nicht der Psychiater, sondern der irrste Patient von allen. »Heimweh? Was isn das? Ich hab Spaß, kannst du dir das vorstellen in deinem Alter? Die Leute da sind alle geil drauf, die nerven dich nicht, die lassen dich in Ruhe, die wollen feiern, die wollen Party, die wollen gut drauf sein. Ich bin voll da, verstehst du, da gehts um mich, da sagt mir niemand, so jetzt hier lang und jetzt da lang und jetzt das

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