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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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anziehen und dann das sagen, niemand…«
    »Machen dir deine Eltern Vorschriften?« Das hatte ich sie schon oft gefragt.
    »Ja logisch!«, sagte sie und blies mir wieder ins Gesicht. Eine neue Variante in unserer Kommunikation. Vielleicht sollte ich zurückblasen. »Mein Alter, der hat doch Schiss, dass die ihn in der Schule fertig machen wegen mir, die sind doch da alle so was von gut erzogen! Gut erzogen. Ich nicht. Pech. Ich bin die Mutation. Noch Fragen?«
    »Haben Sie einen Freund?«, sagte Martin.
    »Was gehtn das Sie an?«, rief sie.
    »Ich mein nicht einen, mit dem Sie schlafen, ich mein einen, mit dem Sie innig befreundet sind, dem Sie vertrauen, der Ihnen näher steht als jeder andere.«
    »Hä?«
    Sie schaute ihn an. Und alles Lügen war eine durchsichtige Maske.
    Beim Abschied sagte Martin: »Suchen Sie ruhig weiter nach ihm. Aber sagen Sie vorher Ihren Eltern Bescheid. Oder uns. Oder wenigstens ihm da.« Er nickte in meine Richtung. »Er sorgt sich sonst.«
    »Mir doch egal«, sagte Bettsy.
    Es war dunkel geworden. Sonja sperrte ihr Auto auf.
    »Gut, dass ich mit Sibylle Eberl gesprochen hab«, sagte sie.
    Ich sagte: »Danke.«
    Wir schüttelten uns die Hände, sie stieg ein und raste davon.
    »So wird Auto gefahren«, sagte ich. Martin sagte: »Lauf doch hinterher!«
    Wir entschieden uns für eine Pilskneipe um die Ecke. Beim vierten Bier warfen wir unseren Vorsatz, nur drei zu trinken, über den Haufen. Als einzige Speise gab es Wiener mit Kartoffelsalat, und wir bestellten jeder zwei Paar.
    »Bei Eberls trinken sie San Pellegrino aus dem Barrique«, sagte Martin. Sein Teller war leer und er wie immer der Erste.
    Nachdem ich fertig gegessen hatte, erzählte ich ihm von Grete Holch.
    Aus der Jukebox dröhnte Musik. Mehrere Songs lang sagte Martin nichts. Außer uns saßen noch zwei Männer am Tresen und zwei an einem Tisch. Die Wirtin kannte alle mit Namen.
    Dann sagte Martin: »Ich brauch einen Schnaps.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich hab einen Klumpen im Bauch.«
    Er trank einen Jägermeister, und weil nur Flamingos auf einem Bein stehen können, noch einen zweiten.
    »Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«, sagte ich.
    »Gestern«, sagte er, »gestern früh.«
    Er zündete sich eine Salem an und schlug die Beine übereinander.
    Plötzlich wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Wir hätten nach Hause fahren sollen, nichts trinken. Oder nur wenig. Fernsehen. Schlafen. Den Tag abhaken.
    Ich hatte Martin überredet. Nein, ich hatte nur einen Vorschlag gemacht. Das war dasselbe. Auf einmal widerte mich das Bier an. Die Musik. Dieses Lokal, das ein einziger Stammtisch war. Jeder kannte jeden. Wenn sich ein Fremder hereinverirrte, bekam er von der Wirtin sein Bier hingestellt, das wars. Er musste schon vierzehnmal hintereinander kommen, um vielleicht gefragt zu werden, wie er hieß. Solche Lokale hatte ich immer verabscheut. Ich bevorzugte Kneipen, in denen man sich sein Bleiben nicht verdienen musste.
    »Lass uns abhauen!«, sagte ich. Martin sagte: »Wohin?«
    Draußen ging es mir sofort besser. Martin wollte mich nach Hause fahren, aber ich ging zu Fuß. Wir redeten über so etwas nicht mehr. Wenn einer von uns beiden abrupt aufbrechen musste, dann entweder allein oder in Begleitung des anderen. Keine Erklärungen. Ich nahm die Strecke über den Rosenheimer Berg. Auf der Museumsbrücke blieb ich stehen und atmete den Geruch der Grillfeuer ein, die am Isarufer brannten. In den Eisdielen herrschte Hochbetrieb. Es war eine laue, fast schwüle Nacht.
    Ich beeilte mich nicht. Ich zog die Lederjacke aus und krempelte ausnahmsweise die Ärmel meines weißen Hemdes hoch. Um mich kreisten die Gesichter des vergangenen Tages. Auch Stimmen meldeten sich, und ich versuchte an nichts zu denken, außer an meinen Weg, die Luft, die Radfahrer, die mich überholten, den Übermut, mit dem sogar die Hunde diese Nacht zu feiern schienen.
    Im Hinterhof vor meinem Haus in der Deisenhofener Straße hockte eine Gruppe Jugendlicher im Gras, still, als würden sie meditieren. Aber sie ließen nur andächtig einen Joint kreisen.
    Nachdem ich mich in meiner Wohnung ausgezogen hatte, rief ich Ute an.
    Sie war wütend. Und ich hatte ihr nichts zu sagen.
    »Das muss doch möglich sein, dass du zwischendurch zwei Minuten Zeit hast«, sagte sie.
    Ich sagte: »Ja.«
    Aus Trotz schwieg auch sie.
    Ich hatte alle Fenster geöffnet. Die Luft war abgestanden, und es war stickig. Ich hatte kein Licht gemacht,

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