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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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eine blaue Strickjacke und einen dunkelblauen Rock. Im Lehnstuhl wirkte sie wie eine Zwergin. Ihre Füße reichten nicht bis zum Boden. Deshalb hatte sie eine Fußbank vor den Stuhl gestellt.
    »Ich hab da keine Idee, wo der Max sein könnte«, sagte sie mit kräftiger Stimme. Sie leckte sich oft die Lippen und schmatzte leise.
    »Haben Sie mit Ihrer Tochter gesprochen?«, sagte Sonja.
    »Sie war da, das erste Mal seit Monaten.«
    »Und sie hat Ihnen gesagt, was passiert ist.«
    »Nein«, sagte Frau Holch und hustete kurz. »Sie hat mir gar nichts gesagt, Sie haben mir gesagt, dass Max verschwunden ist.«
    »Was wollte Ihre Tochter?«, fragte Sonja.
    »Wenn ich das wüsst!«
    Sie schaute zum Fenster. Die Gardine bewegte sich leicht im Wind.
    »Das Einzige, was sie gesagt hat, war, ich soll mir doch endlich mal ein Telefon anschaffen. Ich hab ihr gesagt, wofür denn? Ich kenn niemand. Und wegen Lotte kauf ich mir kein Telefon, die kann bei den Nachbarn anrufen, wenns was Dringendes gibt. Und was Dringendes gibts nie.«
    »Jetzt schon«, sagte ich.
    »Anscheinend nicht«, sagte sie.
    Die Couch war schmal, wenn Sonja und ich uns bewegten, stießen unsere Beine aneinander. Wir hatten dieselben schwarzen Jeans an. Zumindest sehr ähnliche. Meine waren einige Nummern größer. Und zu eng.
    »Warum, glauben Sie, hat Ihre Tochter nichts vom Verschwinden ihres Mannes erzählt?«, sagte Sonja.
    Grete Holch zuckte mit den Achseln. »Wir haben keinen Kontakt, sie lebt da, ich leb hier, hat sich so ergeben, ich leide da nicht drunter, keine Sorge.«
    »Sie sind nicht verheiratet«, sagte ich.
    Sie sagte: »Doch. Mein Mann ist übrigens auch verschwunden. Seit ungefähr fünfzig Jahren. Er hat Paulas Mutter geschwängert, dann mich, dann noch ein paar andere Frauen, vermut ich, und dann hat er sich aus dem Staub gemacht.«
    »Sie waren also mit ihm verheiratet«, sagte Sonja.
    »Ja. Wir haben kurz vor Lottes Geburt geheiratet. Und kurz vor ihrem dritten Geburtstag war er weg. Tschüss.«
    »Und Sie haben nicht wieder geheiratet«, sagte ich.
    »Ich hatte Saisonbeziehungen. Wie die Kormorane. Nichts Festes, nichts für die Ewigkeit.«
    »Wie haben Sie Paula Trautwein kennen gelernt?«, sagte Sonja.
    »Die beiden Mädchen gingen in dieselbe Volksschule. Paulas Mutter kam ab und zu hierher, und wir verfluchten den Vater unserer Kinder. Ich leb ja seit Anfang der Fünfziger in dieser Wohnung. Wir waren zu zweit, meine Tochter und ich. War angenehm, Schwabing, früher. Ich bin in Sendling aufgewachsen, aber ich hab mir schon als Kind geschworen, dass ich mal in Schwabing wohn, wenn ich groß bin. Das ist mir gelungen.«
    Sie sah uns ernst an. Dann legte sie die Hände flach in den Schoß.
    »Das ist doch nicht seine Art… einfach weggehen.« Weder Sonja noch ich machten uns Notizen. Und ich vermutete, sie hatte ebenso wie ich vergessen, aus dem Auto das Aufnahmegerät mitzunehmen. Ich wusste nicht, wie oft ihr das passierte. Mir passierte es oft. Seit zwanzig Jahren. Ich benutzte lieber meinen Block. Das wollte ich jetzt nicht. Ich wollte bloß dasitzen und zuhören.
    »Er ist schon einmal weggegangen«, sagte Sonja.
    »Wirklich?« Frau Holch schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich ja gar nichts. Wann denn?«
    »Vor sechs Jahren.«
    »Vor sechs Jahren? Das kann nicht sein. Das wüsst ich doch! Das hätt Lotte mir doch gesagt! Oder Paula! Wie lange soll er denn damals weggewesen sein?«
    »Vier Tage.«
    »Glaub ich nicht.« Sie blickte zu Boden. »Und wo war er da?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Nein«, sagte Frau Holch.
    »Wann haben Sie das letzte Mal mit Paula gesprochen?«, fragte ich.
    »Vor… vor einem Jahr? Vor über einem Jahr. Wir haben uns zufällig in der Stadt getroffen. Sie hatte grade Mittagspause, ich hab gedacht, ich geh mal auf den Marienplatz, da war ich schon lang nicht mehr. Hab mir das Glockenspiel angehört. Lauter Japaner! Oder Chinesen. Und die knipsen das in einer Tour! Aber auf den Fotos hört man doch gar nichts! Und das ist doch das Wichtigste beim Glockenspiel, dass man es hört, oder nicht?«
    »Unbedingt«, sagte ich.
    »Ja, und dann hab ich mir gedacht, ich könnt auf den Viktualienmarkt gehen und einen Salat kaufen, wenn er nicht zu teuer ist. Es war ein warmer Tag. Im Biergarten wars rappelvoll, an der Nordsee standen die Leute Schlange. Ich hab mir dann keinen Salat gekauft, das ist ja Unsinn. Ich fahr mit der U-Bahn, und da muss ich ja auch noch umsteigen am Hauptbahnhof, und da hab ich dann einen

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